Philanthropie und Gesprächskultur

Der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ ist eine schillernde Floskel des politischen Diskurses. Sicher gehören viele Aspekte dazu. Das Miteinander-Reden ist aber wohl die Basis von allem. Haben wir Defizite in der Gesprächskultur?

Jedenfalls werde ich hellhörig, wenn mehrere entsprechende Signale mich gleichzeitig erreichen. Die Stiftung MITARBEIT bat mich gerade um einen einführenden Text zu einer Publikation unter dem Titel „Dorfgespräch – Eine Anleitung zu Wertedialogen im ländlichen Raum“, die Anfang 2019 erscheinen soll.

Diverse E-Mails in diesen Tagen weisen auf ein neues Förderprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung hin: „Miteinander Reden. Gespräche gestalten – Gemeinsam handeln“. Mit Kleingeld von 5.000 bis 12.000 € werden Großtaten erwartet: „Modellcharakter“ mit „hoher Übertragbarkeit“, „nachhaltige … mittlere bis langfristige Wirksamkeit“, „möglichst große und diverse Zielgruppen“ und „überregionale Strahlkraft“ gehören zu den Förderkriterien. Darf es vielleicht noch ein bisschen mehr sein?

Dann findet sich in der Weihnachtspost ein Umschlag der Alfred Toepfer Stiftung aus Hamburg. Hervorkommt ein feines gelbes Hardcover-Büchlein mit dem Titel „Versuch über das Gespräch“. Verfasser ist Christoph Stölzl, der begnadete Ausstellungsmacher und, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums – heute Stiftungsratsvorsitzender der Alfred Toepfer Stiftung.

Es geht ihm um das „öffentliche, im weitesten Sinne politische Gespräch, um das Ringen der Meinungen miteinander, das den Mehrheitsbeschlüssen der Demokratie vorangeht“ (S. 10). „Geredet, missioniert, gestritten“ (S. 19) werde permanent, aber: „Fragt man nach der Bereitschaft zum friedlichen Gespräch aller mit allen, das nach dem Wunsch der Verfassung der Ursprung aller politischen Meinungsbildung sein soll, kommen alle Parteien und viele Institutionen schlecht weg“ (S. 18) „Meinungskohorten“ schotteten sich mehr und mehr ab, Politiker würden fast nur noch Botschaften an ihre „a priori sympathisierenden Zielgruppen“ senden (S. 18).

Ob Stölzls Rückblick die Gesprächskultur der alten Bundesrepublik mit ihren drei Fernsehkanälen, ihren Akademien und Bundestagsdebatten nicht allzu schön verklärt, soll hier nicht debattiert werden.

Die Frage „Wie weiter?“ beantwortet Stölzl eher grundsätzlich als mit Maßnahmevorschlägen. Zentral ist die Erkenntnis „Sprechen und Gespräch sind vertrauensbildende Rituale.“ (S. 38) Er greift zurück auf die griechische Philosophie, die „das (forschend sokratische) Gespräch, den Dialog und das gesellige, gesprächsreiche Gastmahl als äußere Form der Erkenntnissuche … wie auch das politische Gespräch in der Volksversammlung“ entwickelt hat. Für die Gegenwart beklagt er der dagegen „die Auflösung der gemeinsinnigen Gesellschaft in gesprächsverweigernde Lager“ (S. 39).

Ausführlich zitiert Stölzl Hannah Arendts Hamburger Lessing-Rede von 1959 , die sich der klassischen griechischen Meinung anschloss, dass „das dauernde Miteinander-Sprechen erst die Bürger zu einer Polis vereinige“ . Und weiter Hannah Arendt:

„Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir, was in der Welt, wie das, was in unserem eigenen Innern vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein. Diese Menschlichkeit, die sich in den Gesprächen der Freundschaft verwirklicht, nannten die Griechen philanthropia, eine ‚Liebe zu den Menschen‘, die sich daran erweist, dass man bereit ist, die Welt mit ihnen zu teilen. Ihr Gegensatz, die Misanthropie oder der Menschenhass, bestand darin, dass der Misanthrop niemanden findet, mit dem er die Welt teilen möchte, dass er niemanden gleichsam für würdig erachtet, sich mit ihm an der Welt und der Natur und dem Kosmos zu erfreuen.“ (S. 43f.)

Wenn wir den Begriff der Philanthropie in diesem Sinne ernst nehmen, dann ist Gesprächskultur geradezu eine Basis guter Stiftungsarbeit. Das gilt von der klassischen Fördertätigkeit, die über Antragstellung und Überweisung hinaus idealerweise das gemeinsame Gespräch vorsehen sollte, bis zur Demokratie-Förderung – dem Thema des Deutschen Stiftungstags 2019.

Gerade Stiftungen mit ihrem Glaubens-, Meinungs-, Interessen- und Erkenntnispluralismus sind prädestiniert, abseits der zunehmenden innergesellschaftlichen und internationalen Verbarrikadierungen über alle Fronten hinweg philanthropische Friedensräume des Gesprächs zu bieten. „Wirksam“ im Sinne einer platten Vorher-Nachher-Evaluation für die Erfolgsstatistik des Förderers sind solche Gespräche allerdings gewiss nicht.

Ein Fest des Friedens und ein gutes neues Jahr wünscht Ihnen

Wolf Schmidt

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