Gerade erschienen in: Kontinuität und Wandel in Stiftungswesen, Gemeinnützigkeit und professioneller Stiftungsverwaltung. Hg.: Hanse StiftungsTreuhand. Hamburg 2020
„Die Stiftung ist als rechtsfähig anzuerkennen, wenn … die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint“, heißt es in §80(2) des BGB. Die unscheinbare Formulierung ist Grundlage für den Ewigkeitsmythos im Stiftungswesen. Ein Kapital, das sich – ohne Mitglieder und Anteilseigner – selbst gehört, soll mit seinen Erträgen ohne Substanzverzehr bis zum Jüngsten Tag im Sinne der Stifterin/des Stifters dem Gemeinwohl dienen. Auf diesem Alleinstellungsmerkmal basiert die besondere Reputation von Stiftungen gegenüber anderen gemeinnützigen Rechtsformen wie dem Verein und der gGmbH.
Religiöse Wurzeln
Die deutsche Ewigkeitsstiftung hat ihre Wurzeln letztlich im religiösen Denken des Mittelalters. Die Wohltätigkeit der Stiftung sollte nach dem Ableben der Stifterin/des Stifters dafür sorgen, dass viele Empfänger ihrer Leistungen für sein Seelenheil beten und ihn vor dem Fegefeuer bewahren. Die Stiftung diente als Seelenheil-Versicherung. In diesem Sinne enthalten zum Beispiel die Mietverträge der Augsburger Fuggerei bei einer Jahreskaltmiete von 88 Cent bis heute die Klausel, dass die Bewohner*innen dreimal täglich für den Stifter und seine Familie zu beten haben. So gehören Seelenheil und Kapitalerhalt systematisch zusammen.
Ewigkeit als Ausnahme
Historisch ist diese Ewigkeit eine Chimäre. Zwar werden immer wieder Stiftungen angeführt, die 1000 Jahre und älter sind. Erwähnt seien die Hospitalstiftung zu Wemding von 917, die Vereinigten Pfründnerhäuser in Münster von 900 oder das Hospital Sanctus Spiritus in Demmin von 1269. Hier geht es aber nicht um die Kontinuität einer Rechtsform. Das moderne Rechtskonstrukt der Stiftung bildete sich erst im 19. Jahrhundert heraus und erhielt 1900 mit dem BGB seine Kodifizierung für Deutschland. Bei den mittelalterlichen Stiftungen handelt es sich im Grunde nur um die Kontinuität in der Zweckbestimmung einer Immobilie.
Geldvermögen hätte die Jahrhunderte ohnehin kaum überstanden. Allein im 20. Jahrhundert wurden die deutschen Stiftungen durch zwei Inflationen sowie die nationalsozialistische Enteignungspolitik nach 1933 und die kommunistische nach 1945 zum überwiegenden Teil liquidiert. Aber auch das obrigkeitliche Zwangsabwickeln und Zusammenlegen von Stiftungen wurde von Luthers Reformation über den Reichsdeputationshauptschluss 1803 bis zu den westdeutschen Nachkriegsjahren ohne viel Skrupel praktiziert.
Die Ewigkeitsstiftung ist deshalb auch im Rückblick nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die „Stiftungshauptstadt“ Hamburg hat erst in diesem Jahrtausend wieder die Zahl von Stiftungen erreicht, die auf heutigem Territorium vor dem 1. Weltkrieg existierte.
Kontinuität und Kapitalausstattung
Eine wachsende Gruppe von großen Stiftungen – wie Bosch, Tschira, Mercator, Hopp – folgt nicht mehr dem BGB-Ideal der Ewigkeitsstiftung, sondern hat die Rechtsform der GmbH gewählt. Und gerade wegen der BGB-Ansprüche an die Kapitalausstattung macht die Form der Treuhandstiftung Karriere. Sie kann bereits mit einem vierstelligen Kapital gegründet und mit umso höheren laufenden Spenden ausgestattet werden. Ebenso wie die StiftungsGmbH untersteht sie nicht der staatlichen Stiftungsaufsicht.
Nachhaltigkeit gewährt die Umsetzung der eingangs zitierten BGB-Vorschrift in der Verwaltungspraxis keineswegs. Mag die Stiftungsaufsicht ein Grundstockvermögen von 100.000 oder 200.000 Euro für die Gründung verlangen – was schon bei normalen Renditen keine nachhaltig auskömmliche Finanzierung von noch so bescheidenen Stiftungsaktivitäten erlaubte, ist heute nur noch ein Witz.
Die Nullzinspolitik der Finanzrepression ist zur neuen Normalität geworden. Große Stiftungen mit alten Vermögen – besonders wenn es in Immobilien und guten Unternehmensbeteiligungen angelegt ist – und daraus gebildeten Rücklagen können sich noch glücklich schätzen. Bei immer mehr kleineren Stiftungen unterschreiten die Erträge Grenzwerte der Arbeitsfähigkeit. Neu gegründete Stiftungen, in die nur Barwerte eingebracht werden, fragen sich verzweifelt, wie sie ihr Kapital ertragbringend anlegen sollen. Eine zusätzliche Komplikation bildet dabei das unbedingte Kapitalerhaltungsgebot, das riskante Anlagen für Stiftung und Vorstand gefährlich macht.
Option Verbrauchsstiftung
Da scheint die Verbrauchsstiftung einen Ausweg zu eröffnen, um Stiftungsetats durch Substanzverzehr in eine passable Größenordnung zu bringen. Das prominenteste Beispiel wird kurioserweise durch das größte Stiftungsvermögen der Welt, die Bill and Melinda Gates Foundation, repräsentiert. Mit einem Stiftungsvermögen von über 40 Milliarden Dollar könnte sie am ehesten „ewig“ werden. Da kommt ein Gedanke hinzu, der in den USA unter dem Motto giving while living existiert. Stifterinnen und Stifter wollen selbst die wohltätigen Effekte ihrer Stiftung erleben und steuern.
Für die USA ist die Idee der Verbrauchsstiftung – das spending down – längst etabliert. Als sich in den 1960er Jahren die „liberal foundations“ besonders für die Kennedy-Präsidentschaft der Demokraten engagierten, haben die Republikaner entsprechend reagiert. Sie legten fest, dass Stiftungen jährlich 5% ihres Vermögens (nach Marktwerten) für gemeinnützige Zwecke auszugeben haben. Auf diese Weise sollten Stiftungen geschwächt werden. In der Realität kam es anders. Ohne Kapitalerhaltungsgebot konnten US-Stiftungen Anlagerisiken eingehen, die in Deutschland undenkbar wären. Damit sind gerade die führenden Stiftungen über lange Jahre ziemlich gut gefahren.
Zombie-Stiftungen
Zum Fluch wird die Ewigkeitsstiftung, wenn sie einmal etabliert ist und sich als nicht lebensfähig erweist. Gerade die gute Bürgerstiftungsidee hat das Stiften mit Blick auf Kapitalfundraising populär gemacht. Zustiften ist in Deutschland zwar steuerlich genauso attraktiv wie die eigene Stiftung, aber viele wollen lieber „eigener Herr“ in der eigenen Stiftung sein. Deshalb werden derartige Fundraising-Träume nicht selten zum Albtraum. Der geordnete Exit solcher Zombie-Stiftungen ist noch nicht in der Stiftungspraxis etabliert. Die naheliegende Variante der Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung stößt – mit guten Gründen – auf den Widerstand der Stiftungsaufsicht. Es bleiben nur komplizierte Wege der „Zulegung“ und „Zusammenlegung“.
Kontinuität als Last
Die Sicherung der Kontinuität obliegt dem gesetzlich vorgeschriebenen Stiftungsvorstand und eventuell weiteren Organen – je nach Satzung. Fragt man Vorstände, was ihnen an der Stiftungsarbeit Freude macht, ist meist die Rede von Not lindern, Talente fördern, gesellschaftliche Herausforderungen auf die Tagesordnung bringen oder an Lösungen arbeiten. Kontinuität im Sinne bereits bestehender Tradition kann als Geschenk empfunden werden. Kontinuität als Zukunftsaufgabe wird schnell zur Last. Das Ausmaß hängt natürlich von Rahmenbedingungen ab. Die Rechtsform Stiftung deckt nach ökonomischer Potenz das ganze Spektrum von der Würstchenbude bis zum Weltkonzern ab. Wohlbestallte Vorstände in Stiftungen mit Milliardenvermögen haben andere Herausforderungen als der Ehrenamtler mit 50.000 Euro Stiftungskapital.
Gerade die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte zeigen: die finanzielle Nachhaltigkeit der Stiftung verlangt neben aller kaufmännischen Sorgfalt immer auch eine erhebliche Portion Glück. Insbesondere neu gegründete und mit Bargeld ausgestattete Stiftungen können schlaflose Nächte bereiten, weil noch jede Schwankung am Kapitalmarkt das Stiftungsvermögen unter die Wasserlinie drücken kann.
Verrechtlichung versus Inhalte
Kontinuität bedeutet auch Erhaltung der Gemeinnützigkeit und vorschriftskonformes Verhalten. Von der Abgabenordnung über das Transparenzregister und die LEI-Nummer bis zur DSGVO: die galoppierende Verrechtlichung von Stiftungsarbeit bremst die Freude erheblich. Eine Stiftung, die wegen Verletzung der Gemeinnützigkeit bis zu 10 Jahre rückwirkend steuerpflichtig wird, kann das Thema Kontinuität möglicherweise schnell abhaken.
Nicht unterschätzen sollte man die inhaltlichen Komponenten von Stiftungskontinuität. Rechtlich kann man die Stiftung als – in den Satzungsgrenzen – beliebigen Container für alles mögliche Gemeinnützige sehen. Aber als Identität oder Marke muss die Stiftung Reputation und positives Image mit überzeugenden Projekten und Programmen aufbauen. Das dauert. Große Marken leben nicht nur von dem, was sie aktuell machen, sondern viel mehr von dem Nachweis, dass dies seit langem unter günstigen wie widrigen Bedingungen und bei wechselnden Verantwortlichen funktioniert.
Eine ganz besondere Herausforderung stellt die personelle Kontinuität dar. Das Vermögen ist nichts ohne seine Verwalter. Große Stiftungen, die gute Vorstandsgehälter bezahlen können, werden immer – hoffentlich fähiges und würdiges – Personal finden. Am anderen Ende lebt die Stiftung von unbezahltem Engagement jener, die Verantwortung für Vermögen etc. übernehmen, die Fron der Bürokratie tragen und sich obendrein mit Begeisterung in die inhaltliche Arbeit stürzen. Diese Menschen zu Lebzeiten der Stifterin/des Stifters oder aktuellen Vorstands und darüber hinaus zu finden und zu gewinnen, schafft permanente Sorge.
Generationenwechsel als Bewährungsprobe
Die Probe auf die Lebenskraft einer Stiftung ist auch das Ableben der Stifterin/des Stifters bzw. das Ausscheiden der Gründungsakteur. Stifterinnen und Stifter sowie Gründungsvorstände müssen die Quadratur des Kreises schaffen, indem sie ihre ganze Kraft für die Stiftung einsetzen und sich gleichzeitig überflüssig machen. Für einen Großteil der heutigen deutschen Stiftungen steht diese Probe noch aus. Für eine kapitalschwache Stiftung, die nicht langfristig und kontinuierlich für einen Stamm von Engagierten in einem guten Altersmix sorgt, wird Ewigkeit nur kurz dauern.
So ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Stiftende die schönen Seiten der Stiftungsarbeit von den nicht vergnügungssteuer- aber honorarpflichtigen trennen: Sie beauftragen Unternehmen und gemeinnützige Träger, die sich auf die Verwaltung von Stiftungen spezialisiert haben. Gerade im Falle einer Treuhand-Stiftung trifft sich da die Kontinuität der Stiftung mit der des Treuhänders. Leider gibt es für Stiftungsverwalter keinerlei Qualifikationsvorschriften. Jede juristische oder natürliche Person kann Stiftungen als Treuhänder verwalten – unabhängig von Schulnoten, Diplomen oder Strafregister.
So kann die Entscheidung für den richtigen Partner in der Stiftungsverwaltung nicht nur zur erhofften Kontinuität beitragen, sondern auch Lehrgeld und Frust ersparen.