Heimat stiften

Nach den Themen Demographie (2016), Bildung (2017) und Digitalisierung (2018) steht beim diesjährigen Deutschen Stiftungstag „Unsere Demokratie“ im Fokus.

Vorausgegangen ist 2018 eine Studie des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zu „Stiftungen und Demokratieförderung“. Theresa Ratajszczak und Jochen Suhnken verbinden darin normative Aussagen mit einer empirischen Erhebung.

Dort heißt es: „Demokratien brauchen Bürgerinnen und Bürger, die den normativen Anspruch der Volksherrschaft durch konkrete Teilhabe mit Leben erfüllen.“ Schaut man sich die empirischen Ergebnisse an, wie Stiftungen glauben, „demokratische Kultur“ und „tolerantes Miteinander“ zu fördern, dann steht mit weitem Abstand an der Spitze die „Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“, gefolgt von „Arbeit für Toleranz, Vielfalt und gegen Diskriminierung“.

Beide Felder zeigen, wie schwierig es ist, Demokratieförderung operational zu fassen. Bürgerschaftliches Engagement ist ja keineswegs spezifisch für Demokratie. Sowohl die NS-Gesellschaft als auch der DDR-Sozialismus stützten sich in hohem Maße auf freiwilliges Engagement. Nun mag man einwenden, dem fehle das besondere Merkmal selbstbestimmter Eigensinnigkeit. Aber auch das löst sich nicht in reinem schwarz-weiß auf, sondern bedarf damals wie heute einiger Grautöne. Und was ist eigentlich mit einem bürgerschaftlichen Engagement, das von den in der Studie genannten, aber nicht definierten „un- oder gar antidemokratischen Sicht- und Verhaltensweisen“ geprägt ist?

„Vielfalt“ und Bekämpfung von „Diskriminierung“ sind Werte in westlichen Gesellschaften, die – unterschiedlich für USA und Westeuropa – noch kein halbes Jahrhundert Anerkennung genießen. Sie sind Elemente unserer politischen Kultur, aber nicht unbedingt konstitutiv für demokratische Staatsformen. Und sie sind nicht nur von rechts, sondern auch von links als liberale Identitätspolitik umstritten.

Hier lohnt es sich, ein neues Buch von Henning von Vieregge zur Hand zu nehmen. Der Autor hat eine Karriere in der Kommunikationsbranche hinter sich, verfügt über einschlägige Erfahrungen als früherer Vorsitzender der Aktion Gemeinsinn und der Stiftung MITARBEIT, engagiert sich in der evangelischen Kirche und für die Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Unter dem Titel „Wo Vertrauen ist, ist Heimat – Auf dem Weg in eine engagierte Bürgergesellschaft“ (oekom 2018, 16,- €) dekliniert er die verschiedensten Aspekte von Vertrauen, Engagement und Heimat durch.

Der gedankliche Ausgangspunkt ist bei von Vieregge offenbar derselbe wie beim Bundesverband: das politische Brodeln, das alle spüren. Aber als Kern fasst von Vieregge eben nicht Demokratie, sondern Heimat:

„Die Gefahr wächst, dass der Sehnsuchtsort Heimat sich immer weiter aus der Gegenwart und nächsten Zukunft entfernt, uneinholbar, nur mehr Quelle von Resignation, Frust und Protest ist. Jede Veränderung wird zur Verunsicherung, alles Fremde zum Angriff auf den letzten verbliebenen Kern. Heimat wird zur Wagenburg, infrage gestellt von allen und allem. Dann ist auch nicht mehr Platz für Optimismus und Pragmatismus. Ein ‚Wir schaffen das‘ klingt wie Hohn und Spott auf das Gefühlte. Und zwar für beide, für Alteingesessene wie für die, die sesshaft werden wollen, die man aber nicht lässt.“ (178)

Von Vieregge will die „Quellen von Entheimatung“, der „tatsächlichen oder angenommenen“ aufspüren, die zu einer „Selbstradikalisierung“ führen (178f.). Entheimatung wird durch viele Prozesse der Globalisierung und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Dynamiken erzeugt. Einwanderung ist dabei ein wichtiger Aspekt:

„Sowohl die Zugewanderten als auch die Abwehrer bringen eine Aggressionsspirale in Bewegung, die gefährlich werden kann, zumal die Wagenburgverteidiger mit ihren Reizparolen Gegenströmungen aktivieren, die für sich das Recht auf Gegengewalt in Anspruch nehmen (und umgekehrt). Aus Schlagworten werden Schlagstöcke. Die Kontrahenten meiden bewusst den offenen und demokratischen Diskurs.“ (114)

Bürgerengagement, Politik und Verwaltung, Demokratie, Identität („Wagenburg“) und „bekennende Wurzellose“, die Heimat, Nation und Vaterland „in einen Topf der Verdammnis“ werfen (180), werden in all ihren Berechtigungen und Verwerfungen diskutiert. Bezugspunkt ist letztlich Robert D. Putnam mit seiner Idee des Vertrauens und des sozialen Kapitals. Vertrauen wächst durch Gemeinschaft, und Gemeinschaft wächst durch Engagement. Der Ortsbezug von Heimat – das Vertraute aus der Vergangenheit, das Selbstsicherheit und Zukunftsvertrauen stützt – spielt dabei eine zentrale Rolle. Dafür gilt es die Balance zu schaffen von Identitätsbewahrung und Offenheit für Neue und Neues. „Inklusive Gemeinschaften“ sind ein Schlüsselbegriff des Buches.

Das Bemerkenswerte an Henning von Vieregges Studie ist nicht die Formulierung wohlfeiler Rezepte – die wird man vergeblich suchen. Vielmehr entfaltet er ein Programm der selbstkritischen Hinterfragung, das den vielen Stiftungen, die sich um Bürgerengagement kümmern, Impulse geben kann. Sein Buch schließt mit These Nummer 52:

„Ohne die Unterstützung institutionalisierter Akteure der Zivilgesellschaft, namentlich der Kirchen, Sportverbände und Musikvereinigungen (alle drei besonders niederschwellig), aber auch Stiftungen, insbesondere Bürgerstiftungen, bleibt das Konzept einer Beheimatung in der offenen Gesellschaft chancenlos.“ (228)

Heimat scheint mir tatsächlich ein Schlüsselbegriff für das Stiftungswesen zu sein. Demokratie ist nach einem Bonmot Churchills die beste unter den schlechten Herrschaftsformen. Sie führt weder zu sachlich besten noch ethisch höchsten Entscheidungen, sondern solchen, die mehrheitsfähig sind. Mehrheiten zu organisieren, macht aus Politik nicht selten ein schmutziges Geschäft. Demokratie bedeutet nicht zuletzt die Zumutung, die Freiheit des Andersdenkenden zu wahren. Sie schafft Regeln der Debatte und Entscheidungsfindung, die uns vor Bürgerkrieg oder Diktatur bewahren.

Demokratie ist eine Sache der Vernunft – Heimat dagegen eine der Emotion. Heimatliche Gefühle entwickelt der Atheist für den Kirchturm, der Republikaner für das Schloss, die Vegetarierin für den Saumagen. Heimat schließt das Schrullige und Hässliche ein. Heimat ohne Selbstironie funktioniert deshalb nicht. Heimat motiviert Menschen zum Stiften und zum Engagement. Zu dem Begriffspaar Stiftung – Heimat verzeichnet Google über 14 Millionen Fundstellen.

Demokratieförderung ist ein wichtiges Stiftungsanliegen, rund wird es erst durch Heimatförderung. Es lohnt sich, diesen Zusammenhang stärker in den Blick zu nehmen.

Gute Heimatgefühle wünscht Ihnen

Wolf Schmidt

Eine Reaktion auf “Heimat stiften”

  1. Roland Klappstein

    Vielen Dank für den Artikel. Auch vielen Dank dafür, wie Sie den Begriff ‚Heimat‘ verwenden und sachlich ausdeuten.

    An das Thema anknüpfend wäre vielleicht das Buch ‚Kommunale Intelligenz‘ von Gerald Hüther zu nennen. Hat mir persönlich die Augen geöffnet.

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