Eigensinn und Unsinn des Stiftens

Fachaufsicht über Stiftungen?

„Da muss doch jemand einschreiten!“ höre ich immer wieder in meinen Seminaren z.B. bei der European Business School. Mein Beispiel: Niemand kann eine Stiftung hindern, sich mit Erdstrahlen als Gesundheitsgefahr zu beschäftigen und Torfmatten unter dem Bett als Gefahrenabwehr zu propagieren. „Das ist nicht mehr Eigensinn des Stiftens, das ist Unsinn“, sagte neulich eine Teilnehmerin. Mag sein, aber wer befindet darüber?
Stiftungen unterliegen der staatlichen Stiftungsaufsicht als Rechtsaufsicht – vor allem zur Einhaltung ihrer Satzung – einer Finanzaufsicht, die das Steuerliche prüft, aber keiner Fachaufsicht. Und das ist auch gut so.
Grundsätzlich kann weder ein Beamter noch ein Parlament besser wissen als die jeweilige Stiftung, was die bessere Ernährung oder Erziehung, die wirklich förderungswürdige Kunst, das nötige Korrektiv zur herrschenden Forschungsrichtung, der erfolgreiche Weg zum Frieden oder der richtige bzw. falsche Umgang mit sexueller Orientierung ist. Politik und Verwaltung können und müssen zu all dem Entscheidungen treffen – aber die gelten nur für ihre Sphäre. In der Welt der privaten (nicht privatnützigen!) Stiftung herrscht Freiheit. Sich gegen den Mainstream positionieren zu können, ist ein zentraler gesellschaftlich wünschenswerter Vorzug des Stiftungswesens. Der Hamburger Stifter Jan-Philipp Reemtsma schrieb dazu im November 2012 in der Süddeutschen Zeitung: „Kultureller Fortschritt kommt nicht aus der vielbeschworenen ‚Mitte der Gesellschaft‘. Er kommt, bleibt man im grafischen Bild, stets irgendwo vom Rande her. Er ist ex-zentrisch“. Der soziale Sinn von Stiftungen liege gerade in der „Stifterwillkür“. Wo dabei Eigensinn zu Unsinn wird, ist hoheitlich nicht zu klären und kann deshalb nur im öffentlichen Diskurs und in den Stiftungsorganen kritisch thematisiert werden – mit oder ohne Folgen. Deshalb ist es wichtig, Stiftungen so aufzubauen, dass ihre Organe über hinreichend Selbstkorrektur-Mechanismen verfügen.
Dass der Staat gegebenenfalls auch Unsinn steuerlich privilegiert, ist ein Preis, den wir für das Fortschrittspotential des Ex-zentrischen zahlen müssen.

Hinterlasse eine Antwort