Stiftungen und Kapitalismus

Stiftungen sollen nicht nur mit ihren Erträgen, sondern auch mit ihren Kapitalanlagen Gutes stiften. Mission investing lautet ein Fachbegriff dafür, „ethische“ oder „nachhaltige“ Anlagen gehen in eine ähnliche Richtung. Das scheint doch eine gute Idee zu sein, mit der wir den Niedrigzinsen ein Gemeinwohl-Schnippchen schlagen. Zu schön um so glatt aufzugehen – das habe ich zuletzt in meinem Blog „Die Erosion des Gemeinnützigen“ im Juni 2017 beleuchtet.

Heute will ich die Fragestellung ausweiten. Wir haben ja nicht nur die Zinskrise mit ihren für viele Stiftungen – nicht die mit ausgeprägtem Immobilien- und Unternehmensbesitz – fatalen Etatfolgen. Im Stiftungswesen gibt es auch schon länger einen Trend weg von der gemeinnützigen Einzelreparatur hin zum systemischen Verbessern von Gesellschaft. Beispielhaft stehen dafür komplexe Herausforderungen wie „Klimawandel“, „gesellschaftlicher Zusammenhalt“, „Flüchtlinge“, die Bewältigung demografischer Umbrüche oder der Digitalisierung.

Wenn sich Stiftungen auf diese Weise die Latte höher legen als beim wohltätigen Scheck-Überreichen, ist das zunächst sehr zu begrüßen. Wer systemisch etwas verbessern will, braucht allerdings mehr als guten Willen – und hat es mit einer Unzahl von Wechselwirkungen in unterschiedlichen Zeit-Ebenen zu tun.

Das ThinkLab des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen kann als ein Indikator dafür gelten, dass auch im Stiftungswesen ein Unbehagen am gesellschaftlichen Status Quo angekommen ist, das sich wie ein kontinentaler Flächenbrand verbreitet. Aufregung erzeugen die sinkenden Loyalitäten zu traditionellen politischen Eliten unter dem Signum des Links- oder Rechtspopulismus bzw des Separatismus. Welche rational fassbaren Prozesse dem zugrunde liegen, darüber nimmt die Debatte gerade Fahrt auf.

Eine Rolle spielen offenbar die Digitalisierung ebenso wie die Globalisierung. Wir erleben, dass weltweit immer mehr Menschen sozialen Aufstieg suchen und immer weniger ihn nachhaltig erreichen oder auch nur sichern können. Gesellschaftliche Ungleichheit nimmt – jedenfalls auf der Vermögensebene – zu. Schaut man mit etwas Distanz auf die globalen Perspektiven unseres Wachstumsmodells, so ähnelt es dem Zug der Lemminge.

Obendrein schwindet das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der wirtschaftlichen und politischen Verantwortungsträger. Wie weit dabei die Fehlleistungen wirklich zugenommen haben oder den Eliten nur die Kontrolle über die Debatten entglitten ist, sei dahingestellt. Jedenfalls entsteht eine Mélange des gesellschaftlichen Unbehagens, das sich – zumindest in Deutschland – zum Teil mehr aus negativen Erwartungen als bereits manifesten Zuständen speist. So oder so – auch gesellschaftliche Stimmungslagen machen politische Realität aus.

Viele intellektuelle Beobachter – vom Zeit-Journalisten Uwe Jean Heuser bis zum Max-Planck-Forscher Wolfgang Streeck – sehen einen Zusammenhang zwischen der Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts und dem Kapitalismus.

Ein kluger Stifter wie Kurt Körber formulierte schon bald nach 1989 die Befürchtung, dass der Kapitalismus sich zu Tode siegt. Die Finanzkrise seit 2007 ist insofern nicht der Grund für die politisch-gesellschaftlichen Verwerfungen, aber der Auslöser. Erstmals konnte jedermann und jedefrau live erleben, wie es sich anfühlt, wenn eine ganze Gesellschaftsordnung zu implodieren droht. Im Osten kannte man das zwar schon, aber für den Westen hatte man sich das nicht vorstellen können. Das kostete Grundvertrauen in System und Eliten.

Was hat das mit Mission investing zu tun? Traditionell sind die Einnahmen- und Ausgaben-Seiten von Stiftungen strikt getrennt. Leistungen und Fehlleistungen auf der Vermögensseite haben nur Insider des Stiftungswesens interessiert, im Schaufenster der Öffentlichkeit wurden die selbstlosen Förderungen und Initiativen präsentiert. Das ist heute nicht mehr so einfach durchzuhalten, weil eine kritische Öffentlichkeit nachdrücklich die Quellen der Großzügigkeit hinterfragt.

Aber auf anrüchige Investments in Waffen, Schnaps oder Zigaretten zu verzichten ist noch was anderes als der Anspruch, das Gute auch im – stiftungsrechtlich zwingend vorgeschriebenen – Renditestreben zu verwirklichen. Dabei wird dieser Anspruch längst von den Großen des Profit-Sektors erhoben. Der Siemens-Chef Joe Kaeser brachte gerade ins Gespräch, „ob nicht ein bisschen weniger Profit und Marge tatsächlich ein Mehr bedeutet“.

Larry Fink, der mit BlackRock – dem größten Vermögensverwalter der Welt – über mehr als 6.000 Milliarden Dollar gebietet, schreibt in seinem jüngsten Brief zum Jahreswechsel: „We are seeing a paradox of high returns and high anxiety. Since the financial crisis, those with capital have reaped enormous benefits. At the same time, many individuals across the world are facing a combination of low rates, low wage growth, and inadequate retirement systems.“ Und Fink fordert: „Companies must ask themselves: What role do we play in the community? How are we managing our impact on the environment? Are we working to create a diverse workforce? Are we adapting to technological change? Are we providing the retraining and opportunities that our employees and our business will need to adjust to an increasingly automated world?“

Ist das Gute im Kapitalismus eine Frage der Einsicht? Es hat einen Grund, warum Karl Marx seine epochemachende Analyse „Das Kapital“ und nicht „Der Kapitalist“ betitelte. Dahinter steht die Idee, dass dem Kapital Verwertungslogiken und Triebkräfte eigen sind, die auch den Kapitalisten binden. Der Kapitalist ist nicht so frei, wie der Besitzlose denkt, sondern Ausführender der Kapitalgesetze. Ein Sinnbild dafür hat Goethe mit der Ballade vom Zauberlehrling geschaffen – das Kapital ist der Besen, den der Kapitalist nicht mehr gebändigt bekommt. Im Unterschied zu Goethes Gedicht erscheint allerdings kein Meister, der ihn wieder in die Ecke stellt.

Nun muss man aufpassen, dass man damit nicht moralischer Schrankenlosigkeit das Wort redet. Das Ideal des „ehrbaren Kaufmanns“ oder des „guten Industriepatriarchen“ entfaltet durchaus Wirkung – aber eben nur im Rahmen des ökonomisch Möglichen. Auch staatliche Regulierung verhindert „Kapitalismus pur“ und macht ihn damit überhaupt erst überlebensfähig.

Die Herrschaft des Kapitals, die wir seit fast 300 Jahren erleben, hat ungeheure Kräfte freigesetzt und Fortschritte im menschlichen Dasein ermöglicht. Aber das Kapital ist zugleich eine zutiefst destruktive Kraft, die alles andere – von der Freundschaft bis zur Umwelt – kontaminiert und zu zersetzen droht.

Die richtige Balance produktiver Bewegungsfreiheit und sozialer Bändigung des Kapitals zu finden, ist deshalb eine dauernde gesellschaftliche Aufgabe. Der einzelne Kapitalbesitzer hat dabei Verhaltensspielräume zum Positiven wie zum Negativen, bleibt aber dem ökonomischen Magnetfeld verhaftet.

Mikrokredite sind ein Beispiel, wie Kapital-Dynamiken wirken. Zunächst als innovative Armutsbekämpfung mit einem Friedensnobelpreis für Muhammad Yunus gefeiert, werden inzwischen Probleme deutlich: Erstens werden andere Instrumente der Armutsbekämpfung zurückgedrängt, zweitens sind Mikrokredite mittlerweile für reiche Anleger attraktiver als für arme Schuldner.

Stiftungen sollten sich keine Illusionen über ihre weltverbessernden Spielräume als Kapitalanleger machen und sie müssen sich bewusst sein, dass die Suche nach dem Guten in der Geldanlage nicht nur positive Assoziationen wachruft.

Das, was mit dem – theoriegeschichtlich nicht ganz adäquaten – Begriff des Neoliberalismus angeprangert wird, ist die Verbetriebswirtschaftlichung aller gesellschaftlichen Bereiche. Die Folgen kennen wir. Kommunen verkauften ihren Wohnungsbestand, ihre Wasser- und E-Werke, öffentlich getragene Krankenhäuser und Heime gingen in privaten Konzernbesitz über, Sportvereine wurden zu Profit-Unternehmen, früher nachbarschaftlich geregelte häusliche Pflege oder Nachhilfestunden, öffentliche Toiletten und Verkehrsbetriebe, Telekommunikation und selbst Autobahnen wurden privatkapitalistisch transformiert.

In vieler Hinsicht bedeutet dies Fortschritt. Vieles ist so rationeller, billiger, besser geworden. Aber dazu gehört meist auch eine Kehrseite. Die Klinikkonzerne werden durch ihre Rentabilitätsbedürfnisse hungrig auf vielleicht überflüssige Operationen, die Wohnungskonzerne sind nicht mehr einem öffentlichen Auftrag der Wohnungsversorgung sondern dem Dividenden- und Wertsteigerungsversprechen gegenüber den Aktionären verpflichtet. Die Post möchte nicht mehr täglich Briefe austragen, wo es sich nicht rechnet, die Mobilfunkunternehmen bauen ihre Kapazitäten dort aus, wo sie die meisten Nutzer haben und den größten Gewinn einstreichen können. Die private Gefängnisindustrie in den USA braucht Nachschub an Gefangenen.

Auch wenn solche simplen Gegenüberstellungen die Komplexität der Wirklichkeit in der Regel vergewaltigen, zeigen sie doch: Das Kapital verlangt einen Tribut. Ob er angemessen ist, bleibt eine schwierige Abwägung.

Der Trend, alles durch die Ökonomie-Brille des Kapitals zu betrachten, hat längst den gemeinnützigen Sektor erobert. Wer kennt nicht die Berechnungen, welche wirtschaftlich messbaren Leistungen Ehrenamtliche erbringen? Wer lässt sich nicht beeindrucken von den Kalkulationen, welche Investitionen in frühkindliches Leben, Kindergarten und Grundschule spätere Mehrkosten für Sozialhilfe, Gefängnisse usw. vermeiden? Warum soll man nicht die Rechnung aufmachen, ob es billiger und effizienter ist, Migranten hier oder in ihrem Herkunftsland zu helfen? Wer im Kulturbetrieb rechtfertigt Kulturausgaben nicht bei Bedarf mit wirtschaftlichen Sekundäreffekten für eine Kommune?

Das Fatale: All diese gutgemeinten Legitimationskalkulationen lassen sich auch umdrehen. Wie viel Geld könnten wir besser einsetzen, wenn wir es gar nicht erst für Kinder ausgeben, die nach ihrer genetischen Ausstattung ohnehin keinen hinreichenden gesellschaftlichen Leistungsbeitrag erbringen werden? Ab wann wäre es rentabler, medizinische Versorgung von Alten auf reine Schmerzbekämpfung zu reduzieren? Wozu brauchen wir eine Kunstförderung, die keinen messbaren geldwerten Nutzen generiert? Noch klingt das nach Tabubruch, aber wer systematisch auf den Return-on-Investment setzt, muss sich mit dieser Konsequenz auseinandersetzen.

Bei aller Kritik: Eine kapitalgetriebene Wirtschaft versorgt uns – jedenfalls in Deutschland – mit einem gewaltigen Nutzen: von vollen Discountmärkten über sichere Flugzeuge bis zu erfolgreichen Krebsoperationen. Die Insassen des real existierenden Sozialismus haben das bewundert. Und sicher gibt es zwischen privatwirtschaftlichem Gewinnstreben und gemeinnützigen Anliegen von Stiftungen Schnittmengen, die seriös im Sinne von Mission investing zu bearbeiten sind. Bäume lassen sich damit gewiss nicht ausreißen.

Kapitalbesitzer werden schließlich deshalb zu Stiftern, weil sie erkennen, dass auch bei besten Absichten viele Ziele mit kommerziellem Handeln unvereinbar sind. Deshalb trennen sie die Vermögensanlage von der ideellen Zweckverwirklichung. Diese Erkenntnis sollte nicht rückabgewickelt werden.

Das Gute an Stiftungen ist ihre Fähigkeit, Ressourcen aus dem pervertierungsanfälligen Zauberlehrling-Spiel mit dem Kapital in eine Sphäre abzuzweigen, die nicht nach der Melodie des Kapitalismus tanzt.

In einer unvollkommenen Welt gilt es Widersprüche von Absichten und Einsichten auszuhalten. Die Kraft dazu wünscht Ihnen
herzlich
Ihr
Wolf Schmidt

Eine Reaktion auf “Stiftungen und Kapitalismus”

  1. Eildermann

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