Stiftungen haben nach herrschender Meinung kein allgemeinpolitisches Mandat. Sie rufen nicht zur Wahl bestimmter Parteien auf, sie kritisieren nicht die Amtsführung von Kanzlern oder Ministerpräsidentinnen. Fachpolitisch dürfen sie – und sollten sie vielleicht sogar – sich einmischen. Eine Jugendstiftung beispielsweise kann sich im Rahmen ihrer Expertise zum Jugendschutzgesetz äußern, eine Kulturstiftung zur staatlichen Kulturförderung. Tagespolitik ist dagegen tabu. Darf das umgekehrt bedeuten, dass Tagespolitik ungehemmt allgemeinpolitisch über eine Stiftung herfallen darf?
Seit Gründung der Klimastiftung MV im Januar 2021 und insbesondere seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine steht die Stiftung unter tagespolitischem Dauerbeschuss, der keinerlei Interesse an den satzungsmäßigen Klima-, Umwelt- und Naturschutzprojekten der Stiftung zeigt, sondern ausschließlich dem zeitweise und durch Sanktionen obsolet gewordenen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gilt. Dieser Geschäftsbetrieb war von Landtag und Landesregierung als Stifter politisch gewollt und wurde rechtlich jedenfalls bisher nicht wirkungsvoll beanstandet.
Wie schon im Vorfeld der Landtagswahl vom September 2021 wird immer deutlicher, dass man den Sack schlägt, aber den Esel meint. Nachdem die Ministerpräsidentin vor gerade einmal acht Monaten einen für die politische Konkurrenz frustrierenden Traumsieg von 39,6 Prozent bei der Landtagswahl einfuhr (nicht zuletzt mit ihrer Haltung zu Russland und der Klimastiftung), versucht man nun, sie als russlandhörige ”Gaskönigin“ zu Fall zu bringen. Da bis auf die Grünen alle anderen politischen Kräfte bei Nord Stream 2 kräftig mitgezogen haben, bleibt der politischen Konkurrenz nur die Stiftungsauflösung zu Gunsten der Ukraine, die sie unter Verleugnung eigenen Mittuns (SPD, CDU, LINKE stimmten der Stiftungserrichtung zu, die AfD enthielt sich) nun als Beweis von Reue und Sühne von der Ministerpräsidentin einfordert.
Manuela Schwesig hat sich auf dieses Glatteis locken lassen, offenbar ohne sich klarzumachen, dass sie mangels rechtlicher Handhabe dabei nur verlieren kann, solange der Rechtsstaat noch funktioniert.
Die politisch motivierte Unehrlichkeit der Argumentation gegen die Klimastiftung MV beziehungsweise die Ministerpräsidentin ergibt sich schon allein daraus, dass die beiden in MV tatsächlich von Nord Stream errichteten und finanziell ausgestatteten Stiftungen, die Naturschutzstiftung Deutsche Ostsee und die Baltic Sea Conservation Foundation, von den Vorwürfen ausgenommen werden, offenbar weil man dann in Konflikt mit WWF und BUND geraten würde, die dort mit russischem Geld das Sagen haben.
Tatsächlich hatte die Stiftung eine von SPD, CDU, Linken und AfD gewollte internationale Symbolkraft als Versuch von Mecklenburg-Vorpommern mit seinem Ruf hinterwäldlerischer Bedeutungslosigkeit sich in einem Einzelprojekt gegen die hegemoniale Strategie der USA aufzulehnen. Das betrifft den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb in der Stiftung. Der andere Stiftungsteil, der dem Gemeinwohl im Bereich Klima-, Umwelt- und Naturschutz dient, ist national und international von nicht nennenswerter Bedeutung.
Fehlende Akzeptanz für die Stiftung gab es auf Seiten maßgeblicher Klima- und Umweltakteure von Anfang an. Schon vor und mit Stiftungsgründung konnte man einen propagandistischen Amoklauf gegen die Pipeline, gegen Nord Stream 2 und Gasimport überhaupt beobachten. Viele dieser Akteure – um nur die Partei die Grünen zu nennen – haben mittlerweile ihre Forderungen um 180 Grad gedreht: Jetzt wollen sie Gas aus anderen Quellen beziehen, das ökologisch problematischer (Fracking, CO2-intensiver Kühlungs- und Transportaufwand), politisch zum Teil heikler (Partnerschaft mit terroristisch verstrickten absoluten Monarchien wie Katar) und für die deutsche Wirtschaft und den sozialen Frieden schädlicher (höhere Preise) ist. Stattdessen wird nun argumentiert, aus Solidarität mit der Ukraine müsse man Russland und damit auch Russen, russische Produkte, russische Firmen zum Teil bis hin zu russischer Sprache und russischer Kultur ächten. Russische Gaslieferungen, die von Deutschlands Ampel-Regierung offiziell auch jetzt weiter bestellt und bezahlt werden, dienten der Kriegsfinanzierung, deshalb sei die von Nord Stream 2 mit 20 Millionen € für gemeinwohlorientierte Projekte in MV ausgestattete Stiftung aufzulösen. Ein Argument, das zweifach infrage zu stellen ist:
Der auf den Pipelinebau ausgerichtete zeitlich begrenzte Nebenzweck der Stiftung ist durch die westlichen Sanktionen für das Firmenkonsortium aus westlichen (!) Energiefirmen und Nord Stream/Gazprom zu einem zweistelligen Milliardengrab geworden. An diesem Verlust hat die Klimastiftung unbeabsichtigt mitgewirkt. Die 20-Millionen-Zuwendung für Gemeinwohlprojekte in MV ist, wenn man dem Argument der Kriegsfinanzierung folgt, dieser gerade entzogen. Das Ansinnen, diese Summe als eine Art Kriegskompensation der Ukraine zu schenken, steht nicht nur im Widerspruch zum deutschen Gemeinnützigkeitsrecht, es ist auch wirkungslose Symbol-Politik. Während nämlich die Stiftung mit 20 Millionen € in MV zu den stärksten Stiftungen gehört, bliebe die Summe in der Ukraine angesichts allein des jüngsten US Hilfspakets von 33 Milliarden $ offensichtlich irrelevant.
Aus Sicht des Landes MV gilt es aber, diese Stiftung zu bewahren. Nicht um damit ein Statement pro oder contra Russland/Ukraine abzugeben, sondern weil sie zurzeit die potenteste private Förderstiftung unseres stiftungsarmen Landes darstellt.
Beim tagespolitischen Schlagabtausch geht es mittelbar nach wie vor auch um die Frage, ob Stifter und Stiftungen in diesem Land positive Aufmerksamkeit erhalten. Viele Jahre hat die Stiftungsaufsicht systematisch Stiftungswillige mit Verdächtigungen und Hindernissen vergrault – neben Kleinstiftern selbst die Reichsten des Landes. 2019 wurde endlich verstanden, dass die staatliche Stiftungspolitik einen Neuanfang braucht. Die Staatskanzlei schuf unter ihrem Chef Heiko Geue ein Stiftungsreferat, die Stiftungsaufsicht wurde neu besetzt und die Ministerpräsidentin bekannte sich zur Wertschätzung von Stiftungen.
Das Gezerre um die Klimastiftung seit anderthalb Jahren hat dem Stiftungsklima in MV und sicher auch darüber hinaus erheblich geschadet. Dabei geht es zentral um die Frage, wie weit sich die Politik in Stiftungsinterna einmischen darf und will. Bei öffentlich-rechtlichen Stiftungen ist das legitim, bei privaten des bürgerlichen Rechts nicht – gleichgültig ob der Stifter eine Privatperson, eine juristische Person oder der Staat selbst ist. Private Stiftungswillige beobachten diese Prozesse sehr genau, denn sie scheuen ganz besonders eine auch nur mögliche Übergriffigkeit von Staat und Politik.
In dieser Gemengelage versuchen nun zwei Auftragsgutachten Orientierung zu geben. Prof. Dr. Katharina Uffmann, Lehrstuhlinhaberin für bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Recht der Familienunternehmen an der Ruhr-Universität Bochum sowie Vorstandsmitglied des dortigen Zentrums für Stiftungsrecht hat am 20. April 2022 ein Rechtsgutachten “Zur Klärung der rechtlichen Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für die Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern“ vorgelegt. Prof. Dr. Birgit Weitemeyer vom Institut für Stiftungsrecht und Recht der Non-Profit-Organisationen an der Bucerius Law School in Hamburg folgte am 3. Mai 2022 unter dem Titel „Auflösungsmöglichkeiten der ‚Stiftung Klima- und Umweltschutz MV‘“. Während Uffmann im Auftrag der Klimastiftung MV auf 115 Seiten tätig wurde, berät Weitemeyer die Landesregierung auf 55 Seiten.
Stiftungen aufzulösen ist ein allerletztes Mittel, wenn die Erreichung der Stiftungszwecke unmöglich oder sinnlos geworden ist. Frau Uffmann kommt zu dem Ergebnis, der Stiftungszweck Umwelt, Naturschutz und Klimaschutz sei weder rechtlich noch wirtschaftlich unmöglich geworden. Die Verbindung zum Zuwendungsgeber Nord Stream 2 sei auch nicht sittenwidrig, weil der Abschluss des Rechtsgeschäfts noch zu Friedenszeiten erfolgte. Auch eine tatsächliche Unmöglichkeit der Stiftung sei nicht gegeben. Die 20-Millionen-Förderung durch die Nord Stream 2 AG sei in zwei Tranchen im Februar und im Juli 2021 an die Stiftung gegangen. „Mit der Zuwendung der Mittel an die Stiftung ist diese rechtlich Eigentümerin geworden. Die 20 Millionen € sind daher Bestandteil des Vermögens der Stiftung und damit dem gemeinwohlorientierten Stiftungszweck, Klima-, Umwelt- und Naturschutz, gewidmet. Dieses gemeinwohlgebundene Vermögen kann rechtlich gesehen durch den jetzigen Angriffskrieg durch Russland überhaupt nicht ‚infiziert‘ werden.“ (Seite 79)
Eine Selbstauflösung könne „allenfalls dann erfolgen, wenn eine Änderung der Verhältnisse vorliegt, welche dazu führt, dass der Stiftungszweck nicht mehr dauernd und nachhaltig erfüllt werden kann“ (Seite 80). Eine solche Änderung der Verhältnisse durch den russischen Angriffskrieg und die Beendigung der Nord Stream 2 liege zwar vor – allerdings ohne Relevanz für die satzungsmäßige Stiftungsarbeit: „Insofern muss man klar festhalten, dass die Stiftung ihre Ziele Klima-, Umwelt- und Naturschutz in Mecklenburg-Vorpommern auch in Zeiten des russischen Angriffskriegs und ohne Fortführung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs Vollendung von Nord Stream 2 weiterhin dauernd und nachhaltig erfüllen kann.“ (Seite 82)
Prof. Dr. Weitemeyer wurde von der Staatskanzlei MV beauftragt, Wege zu finden, wie die Stiftung aufgelöst werden kann. Auch sie beschäftigt sich mit der Frage, ob die Verfolgung des Stiftungszwecks rechtlich, wirtschaftlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist. Rechtlich sei der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb unmöglich geworden, die gemeinwohlorientierten Zwecke Klima-und Umweltschutz seien aber rechtlich „erlaubt und könnten von der Stiftung weiter verfolgt werden. Eine teilweise Unmöglichkeit genügt für die Auflösung einer Stiftung grundsätzlich nicht, sondern könnte allenfalls zur Zweckänderung berechtigen.“ (Seite 24)
Um eine tatsächliche Unmöglichkeit weiterer Zweckverfolgung zu begründen, stützt sich Weitemeyer nicht auf die Zwecke selbst, sondern eine Formulierung in der Präambel: „Die große Jahrhundertaufgabe ‚Klimaschutz‘ kann aber nur gelingen, wenn sie im Bewusstsein der breiten Mehrheit der Bevölkerung als existenziell wichtig verankert und von möglichst vielen aktiv unterstützt wird. Mecklenburg-Vorpommern braucht eine breite Akzeptanz und Unterstützung für die verfolgten Ziele.“ (Seite 27) Sie schildert die Empörung über Russlands Angriff und kommt schließlich zum Ergebnis „Breitenwirkung ist aufgrund der negativen Verknüpfung der Ziele und Zwecke der Stiftung mit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg tatsächlich nicht mehr erreichbar. Damit ist die Erfüllung aller Stiftungszwecke unmöglich geworden.“ (Seite 54)
Das ist in mehrfacher Hinsicht eine gewagte Schlussfolgerung. Erstens: Jede Stiftung, in deren Präambel übliches Wunschdenken über angestrebte Wirkung oder Bedeutung der Aktivitäten Eingang gefunden hat, hätte nach dieser Argumentation hier und jetzt sofort zur Selbstauflösung zu schreiten. Zweitens scheint es unerheblich für das Auflösungsgebot, ob die „negative Verknüpfung“ nur aufgrund eines medialen Shitstorms erfolgt oder welchen Zusammenhang es tatsächlich zwischen Stiftung und Krieg (nicht) gibt. Das ist eine Gefahr für jede Stiftung – Bertelsmann, Toepfer und andere mit entsprechenden Erfahrungen lassen grüßen. Drittens findet die juristisch gebotene Diskussion des „milderen Mittels“ im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Weitemeyer nicht ernsthaft statt. Hier herrscht eher das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Viertens: Die zum Aufhänger gemachte Präambel-Formulierung der „Akzeptanz“ wird missinterpretiert, denn sie gilt nicht für die Stiftung. Vielmehr handelt es sich um eine ganz allgemeine landespolitische Aussage des Stifters Mecklenburg-Vorpommern. Offensichtlich ist, dass die geförderten Projekte Dritter zu dieser Akzeptanz beitragen sollen. Dabei müsste die Stiftung nicht einmal als Förderer genannt werden. Die Gutachterin diskutiert nicht wirklich, wie die Stiftung trotz der momentanen Angriffe aus Politik und Medien ihre Aktivitäten ausrichten könnte, sondern behauptet schlicht die Unmöglichkeit.
Auch eine wirtschaftliche Unmöglichkeit des Stiftungshandelns versucht Weitemeyer zu begründen, indem sie alle denkbaren Risiken (Rückforderung durch Nord Stream 2 beziehungsweise dessen eventuellen Insolvenzverwalter, mögliche Schenkungssteuerforderungen) addiert und die Möglichkeit in den Raum stellt, dass die Stiftung entsprechende Rückstellungen vornehmen muss. Das alles sind Spekulationen. Ähnlich kann man bei Stiftungen männlicher Stifter in den ersten zehn Jahren spekulieren, dass möglicherweise uneheliche der Stiftung und sogar dem Stifter unbekannte Nachkommen auftauchen und gegenüber der Stiftung existenzgefährdende Pflichtteilsersatzansprüche geltend machen. Solche Forderungen müssen erst mal auf dem Tisch liegen, bevor die Existenz der Stiftung infrage zu stellen ist.
Im Gegensatz zu Uffmann sieht Weitemeyer über die bloße Hilfe beim Pipeline-Bau hinaus eine zweckhafte Verbindung mit dem Bezug von russischem Gas. Im Blick auf weitere vereinbarte Förderungen durch Nord Stream ist das zweifellos richtig. Insofern ist durch die westlichen Sanktionen sicher eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten. Das erfordert Anpassungen der Planungen, macht aber die gemeinwohlorientierte Zweckverfolgung keineswegs unmöglich oder sinnlos.
Eine besondere Brisanz hat Weitemeyers Statement, der Vorstand habe bei der Auflösung keinen Ermessensspielraum. Vielmehr müsse die Satzungsformulierung, der Vorstand „kann“ bei Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit der Zweckverfolgung die Stiftungsauflösung beschließen, als „muss“ gelesen werden. Eine solche Forderung, selbst bei einer über 20 Millionen € verfügenden Stiftung, müsse sich der Vorstand über die Zweckerreichbarkeit Rechenschaft ablegen, ist aus einer Stiftungsmanagement-Perspektive durchaus sinnvoll, als rechtliche Anforderung mit der Folge der Stiftungsauflösung dagegen unangemessen. Da wird offensichtlich der Boden für den Vorwurf der Pflichtverletzung bereitet.
Da die gleiche Anforderung im Endeffekt auch für eine Aufhebung durch die Stiftungsaufsicht gegen den Willen des Vorstands gestellt wird, drohen hier die Grenzen zwischen allgemein anerkannter Rechtsaufsicht und illegitimer Fachaufsicht durch die Stiftungsbehörde zu verschwimmen. Die Frage, ob und wie eine Stiftung Partner findet oder Zielgruppen für Förderprogramme identifizieren kann, ist Gegenstand ausschließlich des operativen Managements und nur bei Rechtsverstößen der Rechtsaufsicht.
Um einen gegen den Vorstand gerichteten Eingriff der Stiftungsaufsicht zu ermöglichen, wird als zusätzlicher Punkt die Gemeinwohlgefährdung angeführt. Bei der weiteren Tätigkeit der überwiegend aus Russland finanzierten Stiftung bestehe eine „Gefahr der Billigung des völkerrechtswidrigen Vorgehens Russlands und des Unterlaufens der allgemeinen Ächtung und der Sanktionen gegenüber dem Aggressor“ (Seite 48f.).
Nun führen glücklicherweise pro- oder antirussische Einstellungen oder öffentliche Einordnungen von Stiftungen noch nicht zur staatlichen Aufhebung einer Stiftung bürgerlichen Rechts. Dafür bemüht Weitemeyer – höchst widersprüchlich – die These, die Stiftung stehe „unter fortdauerndem Einfluss des Staates“. Die „staatliche Beherrschung der Stiftung“ (Seite 40) ergebe sich daraus, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht nur alleiniger Stifter sei, sondern die Ministerpräsidentin beziehungsweise der Ministerpräsident auch die Organe Stiftungsvorstand und Kuratorium berufe. Dem Kuratorium gehören drei Landesministerien sowie Vertreter der Landtagsfraktionen und ferner zwei Vertreter von Nord Stream 2 an.
Diese Beweisführung staatlicher Beherrschung erscheint nicht überzeugend. Weitemeyer behauptet, es habe sich bei der Gründung um keine Public Private Partnership gehandelt, obwohl das Land nur 1 % und Nord Stream 99 % zum Stiftungsvermögen beigetragen hat. Genau das Gegenteil macht aber Sinn: Das Land wollte einen vom Staat und von Nord Stream 2 unabhängigen Hilfsarm für den Pipelinebau in einem gemeinwohlorientierten Projekt schaffen. Die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Stiftung wurde erst durch die Nord Stream 2 AG ermöglicht. Zu diesem Zweckbündnis passt die nach heutigen Vorstellungen geradezu anachronistisch starke Stellung des Vorstands. Er wird zwar von der Ministerpräsidentin berufen, ist aber abgesehen vom Finanzamt niemandem rechenschaftspflichtig. Paragraph 8 der Satzung hält fest: „Der Stiftungsvorstand entscheidet in eigener Verantwortung und führt die laufenden Geschäfte der Stiftung. Er ist weisungsunabhängig.“ Das Kuratorium ist kein Aufsichtsorgan, sondern primär ein Fachbeirat, in Paragraph 10 heißt es dazu: „Das Kuratorium berät den Stiftungsvorstand in allen klima- und naturschutzfachlichen Fragen.“ Organrechte des Kuratoriums beschränken sich auf die Beteiligung bei Satzungsänderungen zu Zweckerweiterung, Zweckänderung, Zusammenlegung und Auflösung der Stiftung. Ansonsten – d.h. im Normalfall über viele Jahre – bleibt die Anhörung und Beratung des Kuratoriums für das Handeln des Vorstands als alleinigem Willensträger der Stiftung unverbindlich. Die Abberufung des ehrenamtlichen Vorstands ist nur „aus wichtigem Grund“ – üblicherweise ein Straftatbestand, Mobbing, Arbeitsverweigerung oder sexuelle Belästigung – möglich.
Wenn man bedenkt, dass auch etliche privat gegründete Stiftungen eine Bestellung des Vorstands durch einen öffentlichen Amtsträger wie einen Oberbürgermeister oder Landgerichtsdirektor vorsehen, lässt sich aus dem bloßen Ernennungsrecht der Ministerpräsidenten unter keinen Umständen ein fortdauernder staatlicher Einfluss ableiten.
Ein Blick in das Landtagsprotokoll vom 7. Januar 2021 bestätigt, wie unhaltbar die These von der staatlichen Beherrschung ist. Dort führte die Ministerpräsidentin aus:
„Auch beim Bau der ersten Ostseepipeline sind mit Unterstützung der Betreiber der Pipeline
zwei Stiftungen eingerichtet worden. … Und das ist für uns ein Erfolgsmodell, diese beiden Ostseestiftungen. Und wir wollen an diese Erfolgsmodelle anknüpfen und natürlich jetzt das Spektrum erweitern, weil diese Ostseestiftungen sind vor allem fokussiert auf Ostsee, auf Bezug zu Wasser. Und ich habe es eben beschrieben, wir wollen natürlich viel mehr, was neue Technologien angeht, was Artenschutz angeht, was sozusagen sich sonst noch alles bei uns im Land zum Thema ‚Umwelt- und Klimaschutz‘ abspielt, unterstützen. Und deswegen sage ich, es ist schon gelungen, mit zwei Ostseestiftungen den Umweltschutz zu befördern, und deswegen sind wir sehr zuversichtlich, dass diese neue Stiftung auch das weiter machen kann. Und wir laden alle Verbände ein, auch diese Stiftung gemeinsam mit uns zum Erfolg zu führen. Neu ist an dieser Stiftung, an dieser dritten Stiftung, dass sich auch das Land beteiligt. Wir als Land wollen uns auch stärker beteiligen und haben dann damit natürlich auch stärkere
Mitspracherechte. Und ich bin sicher, dass das eine gemeinsame gute Situation werden kann.“ (Protokoll der 108. Landtagssitzung vom 7. 1. 2021, S. 31)
Weitemeyer macht dagegen aus staatlicher Mitsprache staatliche Beherrschung. Da es sich um eine staatlich beherrschte Stiftung handele, „würde diese Tätigkeit dem Land zugerechnet werden und das Land in die Lage gebracht werden, der Zusammenarbeit mit einer überwiegend russisch finanzierten Stiftung Vorschub zu leisten. Ein solches Vorgehen würde als Ausscheren aus der allgemeinen westlichen Allianz aufgefasst werden, die politische Einigkeit infragestellen und damit die Maßnahmen zur Begrenzung beziehungsweise Beendigung des Krieges behindern. Darin liegt eine Gefährdung des gemeinen Wohls mit den Rechtsgütern Leib und Leben, Eigentum und Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes.“ (Seite 49) Deshalb müsse – ohne Ermessensspielraum – die Stiftungsbehörde die Stiftung aufheben. Wen mag das überzeugen?
Stiftungen sind auf Ewigkeit angelegte Institutionen. Weniger als anderthalb Jahre nach ihrer Gründung haben viele – die meisten? – Stiftungen noch gar keine außenwirksamen Aktivitäten entfaltet. Die meisten Stiftungen erleben Zeiten, ja Jahre der Agonie aus Gründen der personellen Besetzung, der Finanzen, programmatischer Unsicherheit oder sonstiger Querelen. Gerade während der Pandemie mussten tausende Stiftungen das schmerzlich erfahren. Solche Krisen gehören dazu und sind zunächst kein Auflösungsgrund.
Aus einer aufgeheizten politischen Situation einen solchen Schritt zu unternehmen, der ausschließlich politischer Symbolik dient, verbietet sich. Auch wenn jetzt wie bei Weitemeyer alles „der Ächtung des Aggressors“ untergeordnet wird: Bei einer Wahl zwischen einem Siegfrieden der Ukraine und einem Kompromissfrieden wird es hoffentlich auf einen Kompromissfrieden hinauslaufen. Das Streben nach Sieg wäre im Blick auf die damit verbundene Dauer und Intensität der Kriegführung katastrophal für die Ukraine, schlimm für Russland und für uns in Deutschland und Europa möglicherweise tödlich. Im Lichte des zu erhoffenden Kompromisses wird vieles, was jetzt tagespolitisch eindeutig erscheint, wieder fraglich werden. Mindestens fünf Jahre sollte man ungeachtet der Zeitumstände jeder Stiftung einräumen, um eine eigene Identität auszubilden.
Dieses Plädoyer speist sich aus der Expertise 40-jähriger Stiftungserfahrung und stiftungspolitischem Engagement. Es hat nicht den Anspruch eines – für einen Nichtjuristen ohnehin abwegigen – Obergutachtens und begrenzt sich – unter Hintanstellung argumentativer Verästelungen beider Gutachten – auf das stiftungspraktisch Wesentliche.
Siehe zum selben Thema: https://stiftungsblog.dr-wolf-schmidt.de/zeitenwende/