Stiftung 4.0

Ob deutsche Stiftungen den digitalen Wandel verschlafen, wird immer wieder diskutiert – sehr prononciert zum Beispiel von Sebastian Haselbeck. Die digitale Schere in der Stiftungswelt geht weit auseinander. Viele Stiftungen sind nicht einmal im Internet angekommen. Ihre digitale Existenz beschränkt sich auf die Erwähnung mit Postanschrift in einem Landesstiftungsverzeichnis. Andere haben zumindest eine Website oder sind stolz auf ihre Facebook-Seite. Manche twittern sogar eifrig. Ist das schon Stiftung 4.0? Ich denke nein.

Der Markenberater und Designer Max Haacke, Spezialist für Disruptions- und Innovationsberatung für Unternehmen, verblüffte mich neulich mit der Frage, was Disruption für die Stiftungswelt bedeuten könnte. Für die mit Business Codes nicht so Vertrauten: Disruption ist das Wirtschaftswort des Jahres 2015. Der Begriff steht für eine revolutionäre Idee, die herkömmliche Geschäftsmodelle aus der Bahn wirft. Es geht um mehr als bloß graduelle Verbesserungen, zusätzliche Angebote oder Nutzung neuer Medien für das Herkömmliche.

Die jüngsten Beispiele disruptiver Technologie heißen Uber für ein Taxiunternehmen ohne Taxis, Airbnb für Zimmervermittlung ohne Zimmer oder Alibaba als größter Händler, der ohne Lager auskommt. Disruption beginnt nicht mit Schritt-für-Schritt Verbesserung sondern einem alternativen Denk- und Geschäftsansatz, der sinnvollerweise nach – wahrscheinlich noch ungeträumten – Kunden- oder Nutzerträumen fragt. Erfolgreiche Disruptionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Bedarf der Zielgruppen punktgenau treffen.

Viele disruptive Innovationen sind durch Branchenfremde erfolgt, weil sie nicht der Betriebsblindheit von Insidern unterliegen. Aber immer mehr Etablierte versuchen auch, Disruption aus dem eigenen Haus zu steuern.

Wie wir im Stiftungswesen unsere Aufgaben und Leistungen sehen, das wissen wir mehr oder weniger. Wie wirken wir dagegen auf Außenstehende? Ich werde häufig nach Tipps gefragt, wie Stiftungen in einer bestimmten Angelegenheit anzusprechen wären. Dann merke ich, wie intransparent, ineffizient und vermachtet unsere philanthropischen Bemühungen, auf die wir so stolz sind, auf Externe wirken müssen.

Intransparent, weil es nicht den geringsten Überblick und auch nur sehr begrenzte Recherchemöglichkeiten gibt, um festzustellen, wo welche Ressourcen – in Gestalt von Geld, Manpower oder Ideen – zur Verfügung stehen.

Intransparent, weil die Rechtsform Stiftung für den Externen keinen Informationsgehalt aufweist. Eine Stiftung kann ebenso Geld geben wie selbst fundraisen oder sich auf eigene Aktivitäten konzentrieren… Sie kann ein Know-how-Träger sein oder nur ein Konto verwalten.

Wer bei welcher Gelegenheit Geld, Ideen oder praktische Durchführung sucht beziehungsweise anbietet, ist innerhalb des Stiftungssektors und darüber hinaus in der gesamten gemeinnützigen Welt uneindeutig. Angebot und Bedarf von Stiftungsleistungen auszubalancieren, bildet eine auch intern bekannte Schwierigkeit.

Ineffizient: Was hilft es, wenn ich einem Künstler, der für ein Projekt 5000 Euro benötigt, 50 Adressen von Stiftungen gebe, die vielleicht für eine Förderung in Frage kommen. Jede will mehr oder weniger individuell angesprochen werden. Jede Anfrage verursacht sowohl beim Sender wie beim Empfänger viel Aufwand. Stiftungen versuchen den gegebenenfalls damit zu reduzieren, dass sie nicht einmal antworten – oder mit einem Standardtext, bei dem der Sender sofort merkt, dass seine Botschaft gar nicht wirklich zur Kenntnis genommen wurde. Der Künstler wiederum will nicht seine Antragsmappe füllen sondern Kunst realisieren.

Ich bin aus meiner Praxis überzeugt, dass die Mehrheit von Förderung Suchenden am Ende ohne irgendeine Stiftungsunterstützung dasteht. Deshalb ist bei allen bürokratischen Unannehmlichkeiten staatliche Förderung in vielen Bereichen immer noch erste Wahl.

Vermachtet: So sehr wir von Augenhöhe zwischen Förderern und Geförderten reden, in Wirklichkeit sehen sich die meisten Antragsteller tendenziell in einer Bettelposition. Das liegt nicht an schlechter Behandlung von oben herab sondern im Gefühl dessen, der um Geld fragt. Das korrespondiert mit einem weiteren Aspekt von Vermachtung: Geld wird ja in der Regel nicht in einem transparenten – nur der Projekt- und Trägerqualität verpflichteten – wettbewerblichen Verfahren vergeben. Die meisten Überlegungen zu einer Förderanfrage kommen schnell zu dem Punkt, wer wen kennt, der ein gutes Wort einlegen könnte. Vitamin B(eziehung) hat eine Schlüsselqualität im Fördergeschäft.

So geht für alle Akteure, die mit besten Absichten Gemeinwohl anstreben, unendlich viel Zeit und Kraft in meist vergeblichem Matching von Ideen, praktischer Durchführung und Geld verloren. Allzu häufig sind das nicht Verzögerungen auf dem Weg zum Erfolg sondern Frustrationen auf dem Weg in die Resignation – obwohl der Ansatz vielleicht gut war.

Dabei ist die geldgebende Stiftung übrigens keineswegs in der komfortablen Situation, sich die Braut aussuchen zu können. Auch viele Stiftungsinitiativen scheitern daran, dass sich kein passender Partner findet.

Woran unser Gemeinwohl krankt, ist nicht die einzelne Stiftung, die transparenter oder netter werden müsste sondern ein System, in dem Deals beim Cocktail, per Schneckenpost, persönlichen Besuchen, nervenden Telefonaten, per Massen-Email et cetera versucht werden. Gibt es nicht Wege, die Begegnung von Ideen/Konzepten, praktischer Umsetzung und Finanzierung rationaler, respektvoller und effizienter zu gestalten? Zum Nutzen der Beteiligten und der Gesellschaft insgesamt? Das scheint mir eine disruptive Fragestellung zu sein.

Ich vermute, alle Elemente sind längst in der digitalen Welt vorhanden. Warum sollte es nicht Angebot und Nachfrage gemeinnütziger Ideen, Arbeitsleistungen und finanzieller Förderungen auf einer Plattform geben, die eine Kreuzung von Amazon und eBay, PayPal und charitywatch, Crowdfunding, Spendenparlament und hausarbeiten.de darstellt? Eine große bunte Plattform, auf der vor aller Augen Projekte geboren werden und wachsen, Allianzen entstehen und vielleicht auch zu Bruch gehen, Plattformteilnehmer mit ihrem Ansatz Unterstützung finden oder auch erkennen müssen, dass sie mit ihrer Idee allein bleiben.

So bekäme auch das Thema Evaluation im gemeinnützigen Sektor einen revolutionären Impuls. Alle Akteure könnten sich inhaltlich bewerten und mit einem Rating versehen. Trotz Fakes und Unfairem würde sich damit eine neue Dimension von Qualitätskontrolle eröffnen.

Wo gute Ideen – quasi gemeinnützige Startups – keine institutionellen Förderer finden, könnten Privatleute spenden und die Plattform würde als Spenden-PayPal für die Spendenbescheinigung und die Weiterleitung sorgen. Wenn man wie bei eBay sehen könnte, wie viel Anträge schon in einem Topf sind – mit automatischen Stopps, damit die Prozesse überschaubar bleiben – ,könnte besser als jetzt vermieden werden, dass ich so ein System selbst lahmlegt.

Für manchen mag die Idee erschreckend sein. Vor- und Nachteile würden sich letztlich erst in der Praxis zeigen, die sich selbstkorrigierend schrittweise entwickeln würde. Jedenfalls sollten hier gesellschaftliche Projekte verhandelt werden, die auch sonst Öffentlichkeit suchen. Dazu könnten weithin auch Kunst und Kultur, Wissenschaft oder Journalismus gehören. Dagegen hätten Themen persönlicher Bedürftigkeit mit individueller Falldarstellung hier nichts zu suchen.

Neben Stiftung 4.0 darf und sollte es weiterhin ganz altmodische Stiftungen geben, die ihre Entscheidungen auf persönliche Kenntnis, Mitleid, Sympathie, Bauchgefühl… gründen und sich öffentlich weder sonnen noch rechtfertigen müssen.

Ob so ein neues System nun modisch als Stiftung 4.0 oder wie auch immer daherkommt, es geht um einen Intermediär grundsätzlich neuer Qualität. Es reicht nicht, dass jede Stiftung Ihre Website mit noch so viel Infos füttert und so das gesamte Chaos vergrößert. Nützlich wäre ein Raum bisher beispielloser Interaktion von Gemeinwohl-Akteuren – nicht nur Stiftungen – auf der technischen Höhe der Zeit.

Mit der Ermunterung zur Utopie grüßt Sie
herzlich
Ihr
Wolf Schmidt

Hinterlasse eine Antwort