Die Bedeutung von Stiftungen für unser Gemeinwesen
Vortrag Sächsischer Stiftungstag am 30.9.2017 (leicht gekürzt)
Gerade wurde ich wieder von einer Journalistin gefragt, über wie viel Vermögen Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt verfügen. Ich sage dann immer: 1. gibt es für Vermögenszahlen keine Publizitätspflicht und 2. keine einheitlichen Standards zur Vermögensbewertung – dazu nur als Stichworte Buch- und Verkehrswerte.
Aber als Anhaltspunkt gebe ich folgende Schätzung: Hamburg und MV haben annähernd gleich viel Bevölkerung. Hamburg hat 1400 Stiftungen, MV 165. Die eine größte der 1400 Hamburger Stiftungen – die Joachim-Herz-Stiftung – mit 1,3 Milliarden Euro hat allein mehr Kapital als alle 165 in MV zusammen.
Was ich damit sagen will: Bedeutung kann man in Euro messen. Und es überrascht nicht, dass da für Ost und West sehr unterschiedliche Grössenordnungen im Spiel sind.
Bleiben wir noch einen Moment beim Kapital. Unser Bundesverband gibt seit etlichen Jahren das Gesamtvermögen deutscher Stiftungen mit 100 Mrd Euro an. Woher weiß er das?
Ich weiß aus berufenem Munde, dass diese Zahl sonntagnachmittags am Küchentisch zustande kam, um den Medien Futter zu geben. Ich nehme übrigens an, dass diese Zahl eher zu niedrig als zu hoch ist.
Aber was bedeuten 100 Mrd Euro? Nehmen wir zum Vergleich mal den Apple Konzern. Er wird an der Börse zurzeit mit 670 Milliarden Euro bewertet. Apple parkt ein Barvermögen von über 200 Milliarden Euro, für das Apple keine Verwendung hat.
Oder eine andere Zahl: die Verschuldung öffentlicher Haushalte in Deutschland kommt auf über 2.000 Milliarden Euro. Das heißt: auf jeden Euro Stiftungsvermögen entfallen 20 € öffentliche Schulden.
Mit einem Wort: 100 Mrd Stiftungsvermögen klingen großartig, sind im Vermögensvergleich aber nur ein Klacks.
Nun kommt es für unsere Arbeit ja mehr darauf an, was wir jährlich für unsere Projekte zur Verfügung haben. Der Bundesverband nennt als Gesamtausgaben der Stiftungen seit vielen Jahren 17 Milliarden Euro.
17 % Rendite? Nun ja, der Bundesverband beziffert den Anteil der Vermögenserträge in den 17 Milliarden auch nur mit 5 Milliarden. Und der Rest? Zum kleineren Teil wohl Spenden, zum größeren Leistungsentgelte – von Studiengebühren bis zu Pflegegeldern – sowie Transfers untereinander und aus öffentlichen Kassen.
Um auch diese Zahl kurz einzuordnen: Die jährlichen Ausgaben der öffentlichen Hand nur für Bildung belaufen sich auf knapp 130 Milliarden Euro. Das heißt auf jeden Euro, den Stiftungen für all ihre unterschiedlichen Zwecke ausgeben, kommen allein für öffentliche Bildungsaufwendungen mehr als 7 Euro.
Man träumt so gern von der reichen Stiftung, aber unsere Finanzkraft insgesamt bleibt in einem bescheidenen Rahmen.
Das ist allerdings nicht meine zentrale Botschaft. Zentral ist, was sich aus dieser finanziellen Ernüchterung für unsere Arbeit ergibt. Die Bedeutung unseres Stiftungssektors zählt auch in Qualitäten. Dazu 6 Thesen.
1. Stiftungen bilden das finanzielle Rückgrat von Zivilgesellschaft – trotz ihrer begrenzten Mittel.
Überall – aber besonders im Osten – ist Bürgerengagement staatlich alimentiert. Das ist einerseits erfreulich, birgt aber andererseits das Risiko, dass wir zu wenig fragen, was uns wichtig ist und mehr, wofür es Fördertöpfe gibt.
Damit uns nicht – dringend nötige – staatliche Zuwendungen ein goldenes Halsband umlegen, brauchen wir Gegengewichte. Mitgliedsbeiträge z.B. der 600.000 Vereine, freie Spenden und eben die Vermögen und Vermögenserträge von Stiftungen.
Um wie viel Stiftungen es geht, wissen wir gar nicht genau, denn Zahlen darüber sind nicht verfügbar. Das gilt besonders für die Treuhandstiftungen. Aber alle Rechtsformen zusammen ergeben wohl zwischen 50.000 und 100.000 Stiftungen. Stiftungsvermögen ist so die Basis für bürgerschaftlichen Eigensinn.
2. Stiftungen haben die Aufgabe, Vielfalt zu erhalten und zu vergrößern.
Wenn Stiftungen Bedeutung erreichen wollen, dürfen sie nicht einfach auf den Mainstream setzen: auch ein bisschen Klimarettung oder ein bisschen Katastrophenhilfe, das machen schon andere mit mehr Power.
In der Biologie gibt es den Begriff der Biodiversität, der Vielfalt von Arten, Ökosystemen, Wechselwirkungen in der Natur. Biodiversität leidet unter einer Züchtung und Naturnutzung, die nur auf kurzfristige Leistung aus ist. Langfristig bilden aber heute scheinbar nutzlose oder schwächere Arten eine Lebensversicherung für das globale Ökosystem. So ähnlich ist das mit der Soziodiversität. Gesellschaften, die auf der Suche nach Erfolg jeweils alles auf eine Karte setzen und die bloß schauen, was sich schnell auszahlt, werden krisenanfällig.
Stiftungen sollten gerade auch Ideen und Lösungsansätze ermöglichen, die unerprobt und riskant sind, die wissenschaftlich und politisch umstritten sind, die vielleicht nicht effizient sind, aber neue Erfahrungen versprechen, die auch Umwege gehen oder sich einer Wirkungsmessung hinziehen. Bedeutung gewinnen Stiftungen mit Projekten und Förderungen, die anderswo nicht ohne weiteres durchgehen.
Professor Hubert Markl, einst Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und der DFG hat mal gesagt, Stiftung steuerten nur 1% zur Forschungsförderung bei, die seien aber entscheidend, weil sie anderen Maximen als die übrigen 99% folgten. In seinen Worten, bei Stiftungen komme es auf die Unabhängigkeit und Bereitschaft an, „wagemutig eigene Wege zu gehen, auf ihre Offenheit für neue Entwicklungen, auf ihre Freude daran, wider den Stachel der Schulweisheit zu löcken, über die Zäune der Fachgärten zu grasen und über die Bande etablierter Erfahrungen zu spielen“.
(Stifter und Staat, 2006, S. 175)
3. Stiftungen vertrauen auf Menschen.
Staatliches Handeln unterliegt dem Gleichbehandlungsgrundsatz, das heißt gleiche Sachverhalte sind gleich zu behandeln. Die Stiftung als eine private Einrichtung hat im Rahmen der Satzung und des Gemeinnützigkeitsrechts Entscheidungsfreiheit.
Nehmen wir an, Sie erhalten 2 gleich gute Förderanträge und einen schwächeren. Dann können Sie die Förderung sogar dem schwächeren gewähren, wenn Sie z.b. der Meinung sind, dass die ausführende Person mehr Power, mehr Energie, mehr Empathie, mehr Fantasie in das Projekt einbringt. Das ist Ihre subjektive Einschätzung. Antragslyrik und Projekt-Chinesisch sind das eine. Stiftungen bewegt immer auch die Frage: Wer macht es?
Vertrauen in das Engagement von Menschen, in ihre Redlichkeit und ihre Kompetenzen, machen die besondere Haltung von Stiftung aus. Natürlich wird dieses Vertrauen auch mal enttäuscht. Würden wir es deshalb ersetzen durch kleinteilige Gängelung und misstrauische Prüfung, würden wir die Wirksamkeit aktiver Menschen nur schwächen.
Ob es um Projektakteure, Talente, Menschen in Not, um Jugendliche, Eltern oder Alte geht, den Einzelfall ernst zu nehmen, ungleiche Menschen ungleich zu behandeln, das ist ein bedeutender Vorzug von Stiftungen.
4. Stiftungen agieren unternehmerisch.
Stiftungen bestehen aus Vermögen, die sich selbst gehören. Es gibt keine Mitglieder oder Anteilseigner, die Ansprüche geltend machen könnten. So agiert der Vorstand als Willensträger der Stiftung. Viele Stifterinnen und Stifter haben Erfahrungen aus dem Vereinsleben und wollen vermeiden, was sie dort erlebt haben: Begehrlichkeiten, Profilierungsgehabe und schwierige Konsensfindung. Die Stiftung ermöglicht unternehmerisches Handeln – sogar bis zur Karikatur eines Alleinvorstands ohne weitere Organe. Eine gute Satzung lässt schlagkräftiges Handeln zu – in einer vernünftigen Balance von starker Exekutive, Beratung und Aufsicht.
Lassen Sie mich anfügen: Unternehmerisch agieren heißt nicht, sich bedingungslos betriebswirtschaftlichen Logiken zu unterwerfen. Es lohnt sich durchaus, z.B. Wirkung und Effizienz von Stiftungsarbeit zu hinterfragen, aber das sind keine alleinseligmachenden Kriterien. Und mit unternehmerisch meine ich auch nicht das vom Bundesverband verstärkt propagierte Mission investing, dessen Potenzial ich für kleinere Stiftungen skeptisch sehe.
5. Stiftungen bieten Nachhaltigkeit.
Früher lautete das beste Argument für eine Stiftungsgründung: Wer 100.000 € spendet, entfacht ein Strohfeuer. Wer dagegen 100.000 € ins Stiftungskapital gibt, erzeugt positive Effekte bis zum Jüngsten Tag. Diese Botschaft bleibt uns in Zeiten von Negativzinsen leider im Halse stecken. Für Immobilienvermögen und Unternehmensanteile gilt sie allerdings auch heute noch.
Die meisten Stiftungen haben ein Kapital von weniger als 330.000 €. Das bedeutet, sie sind zur Zeit mehr oder weniger ertragslos und müssen aus Reserven leben bzw Fundraising betreiben, öffentliche Zuwendungen einwerben oder sonstige Einnahmen generieren. Die alte Regel, dass Stiftungen Geld haben und nicht um Geld bitten, gilt nur noch sehr eingeschränkt.
Und trotzdem: Stiftungen sind mehr als alle anderen Engagementformen auf Dauer angelegt. Selbst kleine Stiftungsvermögen nehmen ihre Vorstände in die Pflicht, für Nachfolge zu sorgen. Finanziell gehen die meisten von uns Stiftungsverantwortlichen heute zwar durch ein Tal der Tränen. Aber wer in langen Zeiträumen denkt, wird unter harten Bedingungen wie jetzt fit, um bei besserem Anlagerahmen die Stiftung aufblühen zu lassen. Und selbst eine auf 10 Jahre angelegte Verbrauchsstiftung eröffnet eine Form von Nachhaltigkeit im Unterschied zum Strohfeuer.
6. Unser größter Schatz ist unser immaterielles Kapital – unser Ansehen, unsere Reputation, unsere Kompetenzen, unser Engagement, unser guter Stil und unsere Netzwerke.
Wenn ich Stiftungswillige frage, warum es denn unbedingt eine Stiftung sein soll, wo man denselben Zweck häufig leichter mit einem Verein verfolgen kann, kommt immer wieder ein entscheidender Punkt: das Ansehen des Begriffs Stiftung in der Öffentlichkeit.
Trotz allem irreführenden Gerede über Stiftung als Steuersparmodell: 1000 Jahre Stiftungsgeschichte, das Erfordernis eines Stiftungskapitals, staatliche Aufsicht und Dauerhaftigkeit haben dem Instrument Stiftung hohes Ansehen verschafft.
Wenn das Wort von Stiftungen in der Öffentlichkeit Gewicht hat, dann liegt das weniger an den 100 Milliarden als an den weit über 100.000 Menschen die sich in operativen und fördernden Stiftungen mit Ernsthaftigkeit, Sachverstand, Empathie und Einsatzbereitschaft engagieren.
In meiner Zeit als Mitarbeiter, Geschäftsführer und Vorstand der reichen Körber-Stiftung in Hamburg habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, wie viel wir ohne Geld bewegen können. Durch Zuhören und Reden, Rat geben und Beziehungen stiften. Dieselbe Erfahrung mache ich seit zwölf Jahren mit meiner armen Mecklenburger AnStiftung.
Deshalb meine Ermutigung: Wenn die Renditen bescheiden sind, konzentrieren Sie sich auf ihr immaterielles Kapital. Gerade in Zeiten von mehr Gegeneinander in der Gesellschaft können Sie mit Ihrem Ansehen, Ihren Erfahrungen und Kompetenzen Stiftungen zu Räumen eines produktiven Miteinander machen.
Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg!
Herzlich
Ihr
Wolf Schmidt