Stiftungsboom: Schein und Sein

Alle Jahre wieder im Februar veröffentlicht der Bundesverband Deutscher Stiftungen statistische Daten zur Stiftungsentwicklung des abgelaufenen Jahres. Lange standen Siegesmeldungen im Mittelpunkt, die eine wachsende Zahl von Stiftungsgründungen bejubelten. Schon damals war klar, dass die Quantität der Gründungen noch nichts über die Qualität aussagt. Ein Großteil der Neugründungen verfügte über eine minimale Kapitalausstattung zwischen 50.000 und 150.000 Euro. Von der Vermögensseite ist damit eine Nachhaltigkeit kaum gewährleistet, obwohl das BGB eigentlich gerade das zu einer Gründungsbedingung macht.

Richtig ist aber auch, dass bei der Gründung unterkapitalisierte Stiftungen durchaus zu Erfolgsstories werden können. Dafür müssen im wesentlichen drei Bedingungen erfüllt werden. Erstens braucht es ein herausragendes und kompetentes ehrenamtliches Engagement der Stiftenden sowie Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Zweitens muss der laufende Haushalt für Förderungen und besonders eigene Projekte durch Spenden, Kooperationen und Förderungen von Dritten kräftig aufgestockt werden. Drittens – und mehr oder weniger angeregt durch die ersten beiden Faktoren – müssen auf längere Sicht Zustiftungen eingeworben werden. Die können zum Beispiel aus dem Erbe des Stifters oder von Menschen stammen, denen die Stiftung mit ihrer Arbeit besonders imponiert hat.Stiftungszahlen 2014

Wer sich in der Szene umhört, kann zu der Einschätzung kommen, dass circa ein Drittel der heute fast 21.000 rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts große Schwierigkeiten haben wird, diese Nachhaltigkeit zu erreichen. Sollbruchstelle ist dabei meist der frust-, krankheits- oder todesbedingte Ausfall von Stifter und Gründungsvorstand.

Dem Boom der Stiftungsgründungen seit Beginn der 90er Jahre mit dem Höhepunkt 2007 müsste also irgendwann ein Schließungsboom folgen.  BGB-Stiftungen sind allerdings viel schwerer zu liquidieren als Unternehmen. Gerade finanziell und personell schwach aufgestellten Stiftungen fehlt häufig die Kraft zu einer bewussten Exit-Entscheidung. Sie verfallen eher in Agonie. Der staatlichen Stiftungsaufsicht fällt dann die undankbare Aufgabe zu, diese Zombie-Stiftungen in irgendwie geordnete Bahnen zu lenken oder abzuwickeln.

Nach 2007 haben sich die jährlichen Stiftungsgründungen deutlich zurückentwickelt. Über die Ursachen kann man gut spekulieren: Vermögensverluste durch die Finanzkrise? Verunsicherung durch die Krise? Zunehmende Sättigung des Stiftungssektors? Andererseits ließen sich auch gute Begründungen für steigende Zahlen denken, z.B. die Erbschaftswelle, die Sinnsuche der Wohlhabenden, verbesserte Rahmenbedingungen durch die stiftungsrechtlichen Reformen der vergangenen Jahre oder der wachsende private Reichtum im obersten Segment.

Ein Faktor allerdings steht fest: Die für die Masse der Stiftungen typische Kapitalausstattung unter einer Million Euro generiert – von Ausnahmen abgesehen – keine Erträge mehr, mit denen sich bedeutsame Stiftungsprojekte realisieren ließen. Hat der Stiftungsvorstand in der Vergangenheit seiner obersten Pflicht – ungeschmälerter Erhalt des Grundstockvermögens – damit Genüge getan, dass er möglichst risikolose Renditen z.B. mit Staatsanleihen und Pfandbriefen suchte, so haben sich die Verhältnisse gegen ihn gewandt: Der Finanzmarkt offeriert heute vorzugsweise renditearme Risiken. Mittlerweile erscheinen Renditen mit einer Null vor dem Komma angesichts um sich greifender Negativzinsen schon beinahe tröstlich.

In der Stiftungspraxis bedeutet dies, den Einsatz für das Grundstockvermögen lieber klein zu halten und die finanziellen Ressourcen des Stifters eher für jährliche Spenden an die Stiftung zu nutzen – wenn nicht sogar von vornherein das neue Instrument der Verbrauchsstiftung ins Auge gefasst wird. So kann auch in Zeiten der Finanzrepression Stiftungsarbeit funktionieren.Die Idee der Stiftung – unabhängige nachhaltige Beiträge zum Gemeinwohl aus eigenen Vermögenserträgen – kann damit eine gewisse Zeit überleben, langfristig käme sie unter die Räder.

Die zurückgehende Zahl der Neugründungen hätte dann ihr Gutes, wenn Zahl und Volumen der Zustiftungen in das Kapital bestehender Stiftungen oder auch Zuwendungen in deren laufenden Haushalt wachsen würden. Für belastbare Aussagen dazu fehlt leider die Datengrundlage. Erfreulich ist jedenfalls, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen immer stärker für die Idee der Zustiftung wirbt. Nimmt man sie ernst, geht es um weit mehr als einen Überweisungsvorgang. Professionell beraten können mehr oder weniger Vermögende gezielt nach passenden Stiftungen suchen (lassen), die sie mit ihren Finanzspritzen mitgestalten können – einschließlich Strategie, Satzung und Organbesetzung. Wichtige Nebenbemerkung: Steuerlich bieten Zustiftungen die gleichen Vorteile wie Erststiftungen.

Ein richtig verstandener Stiftungsboom bedeutet in unserer Zeit, Bestehendes durch Zustiftungen ideell und materiell zu stärken und Neugründungen möglichst auf entweder wirklich große Vermögen ab einem zweistelligen Millionenbetrag oder auf echte Lücken zu begrenzen. Dann darf die Zahl neuer Stiftungsgründungen gern weiter zurückgehen.

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