Reformstiftungen im Stiftungsdiskurs

 

Stiftungen mit ihrer tausendjährigen Geschichte haftet außerhalb der Stiftungswelt vielfach noch der Ruf des Konservativen an. Sie lindern und fördern ohne gegebene Rahmenbedingungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Allerdings ganz so eindeutig war es auch früher nicht, erinnert sei an Ernst Abbes Experiment der der Carl Zeiss-Stiftung als Mitarbeiterstiftung.

Mittlerweile aber haben sich die Koordinaten von Bewahren und Verändern grundlegend verschoben. Bundespräsident Herzog propagierte 1998 Stiftungen als „Motoren des Wandels“ und „Ideen-Agenturen für die Lösung der Probleme unserer Gesellschaft“. Das ging einher mit dem Selbstverständnis der Bertelsmann-Stiftung, die in ihrem Leitbild 2002 beanspruchte, nicht weniger als „wegweisende Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung“ zu geben. Etwas bescheidener sah sich die Körber-Stiftung 2001 „herausgefordert, aufkommende Probleme unserer Gesellschaft und der internationalen Gemeinschaft bewusst zu machen und Lösungsvorschläge anzuregen“. Den passenden Begriff der „Reformstiftung“ pflegt seit 2004 die Gemeinnützige Hertie-Stiftung. Sie sei nicht vornehmlich eine Förderstiftung sondern wolle mit „modellhafter Arbeit“ „Lösungswege erproben und Hilfe zur Selbsthilfe leisten“. Noch pointierter hat die Stiftung Mercator 2008 ihre Strategie formuliert: „Wir wollen klar definierte reformerische Ziele verfolgen und erreichen und kombinieren dabei gesellschaftspolitische Themenanwaltschaft mit praktischer Arbeit.“ Sie wolle „durch öffentliche Positionierung Wirkung erzielen“ und „im gesellschaftlichen Diskurs aktiv werden“.

Teilnahme am öffentlichen Diskurs gehört tatsächlich zu den Gelingensbedingungen von Reformstiftungen. Nur so können sie Ideen und Modelle auf die Ebene gesellschaftlicher Standards heben. Kein Wunder, dass die mediale Präsenz der wachsenden Zahl von Stiftungen mit einer Reformagenda wächst. Das wirkt auch auf Diskurse innerhalb der Stiftungswelt zurück. Klassische Förderstiftungen, mild- oder wohltätige Stiftungen traditionellen Zuschnitts wirken schnell altertümlich, uninspiriert und strategiefaul.

Systematische Reformarbeit ODER die Sisyphos-Arbeit des Symptom-Kurierens?

Die Frage hat eine weltanschauliche Dimension. Wenn eine vollkommene Welt auf Erden möglich ist, wenn wir nur die passenden Sozialtechnologien entwickeln müssen, um Leid und Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, Chancengleichheit und Gesundheit zu sichern, dann hat das ODER einen Sinn. Wer an solch perfekte Welt nicht glaubt, der sollte sich neben allen Reformanstrengungen auch zur bloßen Nothilfe und Symptomkurierung bekennen. Dann haben die Reformstiftung UND die Palliativstiftung (um jenseits der Hospizarbeit einen passenden Begriff zu schöpfen) ihre Berechtigung.

In der Stiftungspraxis heißt das: Nicht alles kann modellhaft, innovativ oder systemisch wirksam sein. Das Schlagwort „Projektitis“ macht die Runde. So wichtig es ist, in den Reproduktionskreislauf von Missständen einzugreifen, so wichtig ist doch auch, dort zu helfen und zu fördern, wo uns entsprechende Reformen nicht oder nicht jetzt gelingen. Das Bild von der Angel, die dem Bettler mehr – weil nachhaltig – hilft als der Fisch, ist ein guter Leitgedanke. Aber es gibt auch genügend Menschen und Situationen, die Fisch brauchen.

Beispiele von Reformstiftungen:

http://www.ghst.de/wir-ueber-uns/auf-einen-blick/

https://www.stiftungmercator.de/…/Jahresbericht_2008_Stiftung_Mercat

Hinterlasse eine Antwort