Die Erosion des Gemeinnützigen

Im Spam-Ordner fand ich kürzlich eine Nachricht mit dem Betreff „Foster-Naturkleidung ist Gemeinwohlunternehmen“. Was hat Seidenwäsche mit Gemeinwohl zu tun? Die Mail verkündet: „Wir haben unsere erste Gemeinwohlbilanz abgeschlossen. Das Zertifikat dazu wird in wenigen Tagen ausgestellt.“ Die Gemeinwohlbilanz messe „den Erfolg, den unsere Arbeit für das Gemeinwohl erbringt“.

Das im Beisein des Marburger Bürgermeisters zu feiernde Zertifikat wird vom „Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ in Wien vergeben. Er stützt sich auf die Visionen des österreichischen Attac-Aktivisten Christian Felber. Zitat: „Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Das Geld ist zum Selbst-Zweck geworden statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben.“

Man mag diese Wertung teilen oder nicht – ist es nicht begrüßenswert, wenn Unternehmen nicht bloß Gewinne machen, sondern auch noch Gutes tun wollen? So wie all die Ethik- und Nachhaltigkeitsfonds, die Firmen mit CSR-Programmen und Umwelt- oder Sozialbilanzen, Bio- und Fairtrade-Marken, die Initiativen gegen Kinderarbeit und Tropenholz, all die Unternehmen, die mit neuen Produkten das Weltklima, die Gesundheit, die Meere und die Tiere retten wollen? Ist es nicht prima, wenn der Kapitalismus sein inhärentes Destruktionspotential überwindet und moralische Initiativen entwickelt? Neben verdientem Applaus ist sicher eine gesunde Skepsis angebracht. So lange Ethik auch eine schnöde Waffe im Marketing ist, können die Grenzen zwischen ernsthaftem Bemühen und Schwindel leicht verschwimmen.

Das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Die gute alte Tante Gemeinnützigkeit aus der Abgabenordnung ist in die Jahre gekommen. Ihre Schrullen wie z.B. die Förderung des Modellflugs oder des Hundesports finden immer weniger Verständnis, wenn sie gleichzeitig die Entwicklung von Instrumenten z.B. gegen Arbeitslosigkeit schwierig macht. Und sie wirkt langweilig: Aus – wie es früher hieß: mündelsicheren – Vermögensanlagen ohne Gegenleistung materielle Mittel vergeben oder operative Angebote machen. Modern erscheinen dagegen Investmentideen: BonVenture und Centre for Social Investment, Social Franchise, Social Business und Social Entrepreneurship, Social Venture Capital, Ashoka und so weiter. Modern sollen sie sein, weil sie kapitalistische Cleverness nutzen statt in altbackener Uneigennützigkeit materielle und immaterielle Zuwendung zu gewähren.

Es gibt nichts gegen diese neuen Ansätze zu sagen, die sich mit dem marktradikalen Hype der 90er Jahre entwickelt haben. Sie sind gewiss eine Bereicherung.

Ein Problem entsteht daraus erst im Kontext der Strukturkrise unseres Finanzsystems. Der Gemeinnützigkeit gehen die Penunzen aus, mit denen sie sich lange großzügig zeigen konnte. Das Geschäftsmodell der alten Tante Gemeinnützigkeit geht in die Knie.

Kurt Körber, der Hamburger Unternehmer, bei dem ich elf Jahre Stiftungsarbeit lernen durfte, brachte sein Geschäftsmodell auf die einfache Formel : Morgens muss ich das Geld mit meiner Firma verdienen, das ich nachmittags mit meiner Stiftung ausgebe. So wie Alfred Nobel mit Kriegen die Gewinne machte, die den Friedensnobelpreis ermöglichten, so waren die Sphären der Rendite und der Gemeinnützigkeit getrennt. Das hat, gesellschaftlich gesehen, auch absurde Züge, aber die Absurdität liegt im System oder vielleicht sogar der menschlichen Natur selbst.

Gemeinwohl, Ethik, Fairness, Nachhaltigkeit sind weiche philosophische oder auch nur platte politische Begriffe. Sie verführen dazu, sich und anderen etwas vorzumachen. „Gemeinnützigkeit“ dagegen ist neben der „Mildtätigkeit“ ein relativ scharf definierter Begriff des Steuerrechts. Zum Kern gehört die Uneigennützigkeit und die Ausschließlichkeit in der Verfolgung des gemeinnützigen Zwecks. Das ist etwas ganz anderes als die Verfolgung guter Absichten im Rahmen eines Geschäfts. Letzteres erfüllt lediglich die Forderung des Grundgesetzes, Artikel 14: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Gemeinnützige Akteure dagegen sollen nicht zugleich sondern ausschließlich dem Gemeinwohl dienen.

Krosse Brötchen und saubere öffentliche Toiletten, gute Schulbildung und geile Festivals, hilfreiche Medikamente und wirksame Versicherungen gegen Alltagsrisiken gehören sicher zum Gemeinwohl. Wenn sich solche gesellschaftlichen Bedürfnisse und Herausforderungen marktwirtschaftlich oder staatlich lösen lassen, können wir froh sein, denn das ist verlässlicher als auf die Ressourcen und Stimmungen von Spendern und Stiftern zu bauen.

Letzteren bleibt genug – ob nun Weltfrieden und Völkerverständigung, individuelle Nothilfe und humanitäre Aktion, kreative Talentförderung, Unterstützung von Bürger-Engagement und Förderung von Alternativen zum Mainstream in verschiedensten Bereichen. Das sind Aufgaben, für die es Hilfs- und Handlungsmodelle aber keine Geschäftsmodelle im engeren Sinne gibt.

Wenn innerhalb des Profit-Sektors Ideen sozialer Verantwortung Raum gewinnen, ist das sehr zu begrüßen. Das erfordert allerdings, dass ein klar definierter gemeinnütziger Sektor seine eigene besondere Identität behauptet. Seine Botschaft kann nur lauten, dass der gute Verbraucher und der gute Investor oder auch der Sponsor keinen Spender und Stifter ersetzen kann. Das Weggeben von Reichtümern – am besten freiwillig aus Überzeugung, aber auch mit dem Druckmittel der Erbschaftssteuer – schafft die Basis für gesellschaftliche Leistungen, die in ihrer Spezifik weder marktförmig noch staatlich erbracht werden können.

Wenn Stiftungen beginnen, sich auf das Glatteis des Ethik-Kapitalismus begeben und meinen, sie könnten wegen der geringeren Vermögenserträge einen Teil ihrer Mission durch sozialfreundliche Vermögensanlage erbringen, fördern sie die Erosion des Gemeinnützigen. Was in Zeiten der Zinskrise als Trostpflaster für Wirksamkeit erscheinen mag, verwischt langfristig die Grenzen von Geld verdienen und Geld weggeben. Wenn eines Tages die Zinsen wieder steigen sollten, bleibt die volkspädagogische Lektion gelernt: Gutes tun kann man auch als Investor und als Verbraucher. Warum also noch Geld weggeben, wenn Gemeinwohl auch mit dem Kauf von Seidenwäsche zu fördern ist?

Einen guten Gemeinwohl-Kompass wünscht Ihnen
Ihr
Wolf Schmidt

Eine Reaktion auf “Die Erosion des Gemeinnützigen”

  1. Jan Moritz Onken

    Lieber Herr Dr. Schmidt, vielen Dank für diesen sehr guten Blogbeitrag ! Herzlichen Gruß, Ihr Jan Moritz Onken

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